„Hoffe zwo“-Serie (11): Fesser, Schorr – und die beste Zeit
Angefangen hat alles im Mehrbettzimmer einer Sportschule. Knapp drei Jahre bevor Leon Fesser und Patrick Schorr erstmals gemeinsam für die TSG aufliefen, lernten sich die beiden Abwehrtalente in der U16-Hessenauswahl kennen. Bei einem Länderpokal standen sie dann nicht nur nebeneinander auf dem Platz, sondern lagen im Schlafsaal auch Matratze an Matratze. „Wir haben sofort gemerkt, dass wir komplett auf einer Wellenlänge sind“, erinnert sich Schorr. Heute sind die beiden ehemaligen U23-Spieler der TSG 26 Jahre alt und immer noch beste Freunde – vor allem dank ihrer Zeit in Hoffenheim.
„Wir waren wie Brüder“, sagt Fesser, der von 2012 bis 2016 für die TSG auflief. Schorr war schon ein Jahr früher nach Hoffenheim gekommen und später anderthalb Jahre vor Fesser gegangen. Die zweieinhalb gemeinsamen Jahre hat der gebürtige Frankfurter Schorr in ganz besonderer Erinnerung: „Das war bisher die beste Zeit unseres Lebens. Es war damals einfach eine sehr unbeschwerte Zeit, über die wir immer noch viel reden und lachen.“
Schulisches Konzept der TSG überzeugt
Ihr erster gemeinsamer Verein hieß Eintracht Frankfurt. Schorr spielte schon seit der U9 für die Eintracht und hatte gerade erst als U16-Spieler mit der U17 die deutsche B-Jugend-Meisterschaft gewonnen, als Fesser im Sommer 2010 dazustieß. Der Neuzugang als linker Innenverteidiger und der frisch gebackene deutsche Meister als Linksverteidiger standen fortan Seite an Seite auf dem Platz. „Das war super“, erinnert sich Fesser. „Wenn ich mal in Bedrängnis kam, konnte ich den Ball immer nach links zu Paddy geben und der hat mich dann meistens gerettet. Er war eben schon immer mein sicherer Hafen.“
Ein Jahr später zog es Schorr allerdings schon nach Hoffenheim. „Bei mir stand der Wechsel in die Oberstufe an und die TSG hat mir ein perfektes Konzept geboten, wie ich Schule und Fußball unter einen Hut bringen kann. Das hat mich total überzeugt.“ Also zog der Linksverteidiger in den Kraichgau und musste von seinem Kumpel vorerst Abschied nehmen. Aber auch Fesser kehrte der Eintracht den Rücken und wechselte in die A-Jugend von Kickers Offenbach.
Schorr empfiehlt seinen Kumpel weiter
Irgendwann im Laufe der Saison 2011/12 setzte sich dann Alexander Rosen, damals noch sportlicher Leiter der Akademie, zu Schorr auf die Terrasse des Leistungszentrums. „Er hat mich gefragt, was ich von Leon halte. Ich habe ihn kurzerhand als besten Innenverteidiger aller Zeiten beschrieben. Vor allem habe ich ihm aber gesagt, dass er charakterlich super bei uns reinpassen würde.“ Schorr tat also seinen Teil für die Wiedervereinigung der beiden Freunde. „Ich wollte mich da trotzdem noch nicht so reinsteigern, weil ich bestimmt traurig gewesen wäre, wenn es dann nicht geklappt hätte.“
Doch es klappte – und Fesser weiß, wem er seine Zeit in Hoffenheim auch ein bisschen zu verdanken hat. „Paddy hat damals alles in die Wege geleitet und mich damit zu dem gemacht, der ich heute bin“, sagt Fesser bewusst pathetisch – und sein Kumpel krümmt sich vor Lachen. Auch für den Innenverteidiger war die Kombination aus Schule und Leistungssport das ausschlaggebende Argument für den Wechsel zur TSG. „Vor allem schulisch war es das Beste, was mir passieren konnte. Die Betreuung durch Anpfiff ins Leben war top. Dadurch konnte ich meinen Notenschnitt am Ende deutlich verbessern.“
Gemeinsame Wohnung in Sinsheim
Sofort nach ihrer Wiedervereinigung zogen Schorr und Fesser gemeinsam in eine Wohnung in Sinsheim, spielten für die U19 und machten ihr Abitur. „Das war einfach super. Ich hätte mir keinen besseren Start ins Leben außerhalb von zu Hause vorstellen können“, sagt Fesser. Damit konnte sie beginnen, die eingangs erwähnte beste Zeit ihres Lebens. „Wir hatten viele coole Jungs in der Mannschaft und vor allem Lenny und ich haben sehr viel unternommen.“ Ob im Kino in Walldorf oder in Sinsheim in der Stamm-Pizzeria – überall waren „Lenny“ und „Paddy“ schnell bekannte Stammgäste.
Auch sportlich lief es gut. Unter Trainer Thomas Krücken spielte die U19 eine starke Saison und hatte bis kurz vor Rundenende noch Chancen auf die Meisterschaft. Schorr überzeugte auf der linken Seite sogar dermaßen, dass er in der Rückrunde immer mal wieder bei den Profis mittrainieren durfte. Am 31. Spieltag der Saison 2012/13 feierte er noch als A-Jugendlicher beim 2:1-Heimsieg gegen den 1.FC Nürnberg sein Bundesligadebüt.
Unterstützung in sportlichen und privaten Krisen
In der ersten Saison im Erwachsenenfußball gehörte Schorr dann fest zu Markus Gisdols Profikader, doch es lief nicht mehr. „Ich war damals viel verletzt und im Training oft richtig schlecht. Das hat mir sehr zu schaffen gemacht. Wenn du keine Lust auf das Profitraining hast, weil du weißt, du bist zu schlecht, und wenn du einfach nur hoffst, dass sie dich nicht anspielen, dann ist das kein gutes Zeichen.“
Zu dem sportlichen Durchhänger kam auch noch ein privater Schicksalsschlag: 2014 verstarb Schorrs Vater. „In dieser schwierigen Zeit hat mir Lenny unfassbar viel geholfen. An dem Abend, als das mit meinem Papa passiert ist, sind wir gemeinsam zu mir nach Hause gefahren und in der Zeit danach war er einfach für mich da. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein.“
„Nehmen beide alles mit einem Lachen“
Fußballerisch ging es für Schorr wieder bergauf, als er 2014 fest in die U23 zurückkehrte und damit auch wieder Tag für Tag mit seinem besten Freund auf dem Trainingsplatz stand. Fesser war nach der U19 direkt zu „Hoffe zwo“ gekommen. „Da hatte ich meine sportliche Heimat wiedergefunden“, sagt Schorr. Die beiden Freunde unternahmen beinahe täglich etwas in Sinsheim und Umgebung – oft gemeinsam mit ihren Teamkollegen Yannick Thermann und Connor Krempicki.
Vor allem aber hatten sie jede Menge Spaß. „Wenn wir zusammen abhängen, lachen wir immer sehr viel“, sagt Fesser. Auch Schorr sieht den Humor als feste Basis ihrer Freundschaft: „Wir haben auf jeden Fall gemeinsam, dass wir beide versuchen, alles mit einem Lachen zu nehmen. Ich denke, dadurch sind wir über die Jahre auch bei vielen Mitspielern in Erinnerung geblieben.“
Für Fesser, der von sich selber sagt, dass ihm oft der nötige Biss gefehlt hat, um im Fußball mehr zu erreichen, war Schorr ein wichtiges Korrektiv: „In unserer Zeit in Hoffenheim wussten wir wirklich alles voneinander Aber Paddy war auch nie jemand, der mir nur Honig um den Mund geschmiert hat. Wenn es nötig ist, sagt er mir auch die Meinung.“
Der Lasagne-Vorfall
Sportlich lief es für die beiden Freunde in der U23 unter Trainer Marco Wildersinn ordentlich. Was aber vor allem in Erinnerung geblieben ist, sind die vielen lustigen gemeinsamen Momente in der Kabine oder der gemeinsamen Wohnung. Wie etwa der Lasagne-Vorfall.
Schorr wollte Fesser einst zeigen, was für eine schmackhafte Lasagne er zubereiten kann. Die Lasagne schmeckte tatsächlich und die Reste ließen sie im Ofen stehen – für später. Sehr viel später. Als die beiden nach Wochen mal wieder Lust auf Lasagne hatten und die Auflaufform suchten, fiel es ihnen zeitgleich ein. „Das war wie im Film“, erinnert sich Schorr. „Wir haben uns angeschaut und im selben Moment ist uns eingefallen, wo die Auflaufform ist. Den Anblick im Ofen kann man sich nicht vorstellen! Wir mussten die Lasagne-Reste mit der Form entsorgen.“
Spaß am Fußball wiedergefunden
Die unbeschwerte, lustige Zeit der beiden endete Anfang 2015, als Schorr auf Leihbasis zum damaligen Zweitligisten FSV Frankfurt wechselte. Für den Linksverteidiger folgten die Drittliga-Stationen Mainz 05 II, VfR Aalen und Carl Zeiss Jena, ehe Schorr im vergangenen Sommer seine Profikarriere für beendet erklärte und zwei Schritte zurück in die Hessenliga machte. Seitdem spielt er für Türkgücü Friedberg.
„In Jena lief es gar nicht für mich und ich habe gemerkt, dass mein Körper nicht mitmacht, wenn ich nicht glücklich bin. Ich hatte dort immer wieder Verletzungen“, sagt Schorr, dem der Rückzug aus dem bezahlten Fußball gutgetan hat. „Mit Friedberg hatten wir vor der Pause fast nur englische Wochen, aber mit den Jungs dort macht es mir viel Spaß – und schon habe ich keinerlei Verletzungen mehr“, so der 26-Jährige. Er studiert per Fernstudium Sportmanagement könnte sich gut vorstellen, seine Erfahrungen an junge Spieler weiterzugeben.
Karriereende mit 26
Fesser spielte noch bis zum Sommer 2016 weiter bei „Hoffe zwo“. Dann zog es ihn zur zweiten Mannschaft von Bayern München und von dort zum SC Paderborn, mit dem er von der Dritten Liga in die Bundesliga durchmarschierte. Doch auch Fesser kennt die negativen Seiten des Fußballs. In der Paderborner Zweitligasaison machte der Innenverteidiger kein einziges Spiel. „Wir hatten eine geile Mannschaft, aber wegen der sportlichen Situation war ich manchmal tot im Kopf. Wenn die Jungs nach einem Sieg vor der Kurve feiern und du kommst in Privatklamotten von der Tribüne dazu, stehst daneben und weißt, dass du nichts beigetragen hast, ist das kein schönes Gefühl.“
Nach einem Kreuzbandriss war auch Fesser – obwohl erst 26 Jahre alt – gezwungen, seine Karriere zu beenden. Seitdem studiert er via Fernstudium Data Science. Die beiden Freunde wohnen mittlerweile wieder in ihren Heimatorten: Fesser in Alsbach bei Darmstadt, Schorr in Oberursel bei Frankfurt. Nur 65 Kilometer liegen dazwischen. Wenn Fessers Knieverletzung nicht wäre, könnten sie also durchaus irgendwann mal wieder nebeneinander in der Kabine sitzen und auf Amateurniveau zusammen auf dem Feld stehen. Fesser in der Innenverteidigung und sein sicherer Hafen Schorr links daneben. Zu lachen hätten sie sicherlich jede Menge – so wie damals in Hoffenheim.
DIE "HOFFE ZWO"-SERIE
1 | Streifzug durch Zahlen und Fakten
2 | Fisnik Asllani auf den Spuren seines Co-Trainers
3 | Als "Schippo" den Fünferpack schnürte
4 | Kingsley Schindler im Interview
5 | Die Trainer - von Dickgießer bis Herdling
8 | Rückblick mit Tobias Strobl