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U23
21.11.2024

Ruben Reisig: Nie mehr Dritte Liga? Abwarten.

Als Siegtorschütze in der Partie beim FC Gießen war Ruben Reisig zuletzt in aller Munde. Der Führungsspieler im jungen „Hoffe zwo“-Aufgebot ist aber nicht erst seit seinem Treffer, der der U23 den Gewinn des inoffiziellen Herbstmeistertitels sicherte, im Kraichgau angekommen. Der 28-Jährige geht als Routinier in der Mannschaft von Trainer Vincent Wagner voran. In den vergangenen Jahren hat sich Reisig aus der Oberliga nach oben gearbeitet – und verfolgt ein klares Ziel: Er will in jene Liga zurückkehren, in der für ihn die Laufbahn im Erwachsenenfußball begann.

Es gibt einen Satz, an den Ruben Reisig seit Jahren regelmäßig denken muss. Ein Zitat, mit dem der 28-Jährige irgendwann seinen Frieden machen möchte. Es stammt von Peter Vollmann, Reisigs ehemaligem Trainer beim VfR Aalen. „Herr Vollmann hat damals zu mir gesagt: ,Wenn du die Dritte Liga jetzt verlässt, wirst du nie wieder in diese Liga zurückkehren.‘“ Reisig hält kurz inne. Dann setzt er fort: „Herr Vollmann hat bis heute recht behalten. Aber ich arbeite daran, dass das nicht für immer so bleiben wird.“

Vier Einsätze in der dritthöchsten Spielklasse stehen in der Bilanz des Sommerneuzugangs der Hoffenheimer U23. Absolviert hat er sie in der Saison 2015/16 als Jungspund im Team des VfR Aalen – unter Trainer Peter Vollmann. Als sich Reisig im Sommer 2016 dazu entschied, den VfR zu verlassen, reagierte sein Coach entwaffnend ehrlich. „Davor habe ich Respekt“, sagt Reisig. Er wiederholt sich: „Ich möchte Herrn Vollmann aber gerne beweisen, dass er nicht richtig gelegen hat.“

Es liegt auf der Hand, mit welchem Ziel Ruben Reisig zur Saison 2024/25 zur TSG Hoffenheim II gewechselt ist: Den Traum von der Dritten Liga – möglicherweise träumt ihn kein Spieler im „Hoffe zwo“-Kader so intensiv wie Reisig. Dafür nimmt er im Team von Trainer Vincent Wagner die Rolle des erfahrenen Spielers im Zentrum ein. Mit 13 Einsätzen in der Regionalliga Südwest in dieser Saison zählt er zum Stammpersonal. Vor wenigen Tagen avancierte Reisig zum entscheidenden „Hoffe zwo“-Akteur, als er sein Team zum 1:0-Erfolg beim FC Gießen und damit zum inoffiziellen Herbstmeistertitel in der Regionalliga Südwest schoss.

„Jeder Tag ist der schönste Moment“

Wenige Tage später muss der in Prien am Chiemsee geborene Mittelfeldspieler schmunzeln, als ihm die Frage gestellt wird, ob das 1:0 in Gießen der für ihn bisher schönste Moment bei der TSG Hoffenheim war. „Natürlich war es schön, dieses Tor zu erzielen“, antwortet Reisig. Dann wird es tiefgründiger: „Für mich ist jeder Tag, an dem ich zum Trainingsgelände kommen und hier meiner Leidenschaft als Fußballer nachgehen darf, der schönste Moment. Ich habe das Gefühl, mit dem Wechsel nach Hoffenheim alles richtig gemacht zu haben.“

Reisig, dessen Mutter Emilia Abena aus Ghana stammt, großer Fan von Stefan Effenberg zu dessen Zeit beim FC Bayern war und ihren Sohn deswegen fast Stefan genannt hätte, sagt: „Mein Plan A ist Fußball, mein Plan B ist ebenfalls Fußball. Ich habe keine große Karriere hingelegt. Aber das hat mich nie davon abgehalten, meinen Traum leben zu wollen.“

Alles auf eine Karte also. Okay, fast alles: Reisig, der mit seiner Familie, also auch mit Vater Jürgen und Schwester Amandla, gerne zu seinen Wurzeln zurückkehrt und Urlaube in Ghanas Hauptstadt Accra verbringt, begann nach dem Schulabschluss (Mittlere Reife) eine Ausbildung zum Dachdecker, die er aber vor seinem Wechsel nach Aalen abbrach. Mittlerweile ist er Inhaber eines Tattoostudios in Esslingen, seiner Heimatstadt. „Ich tätowiere nicht selbst, habe aber Angestellte. Ich habe, seitdem ich meinen Laden betreibe, viel darüber gelernt, was es bedeutet, selbstständig zu sein.“ Er könne sich auch vorstellen, in der Modebranche zu arbeiten – aber das sei Zukunftsmusik. Der Fußball steht vor allem.

Karrierestart nach Wachstumsschub

Wer einen Blick auf Reisigs Laufbahn wirft, der entdeckt Aufs und Abs. „Ich habe es in der Jugend nie in ein großes NLZ gepackt. Aber ich kann einschätzen, warum das so war. Viele andere waren damals einfach besser als ich.“

Im Heimatverein von Grischa Prömel, dem TSV RSK Esslingen, wurde er von Grischas Vater Roland trainiert und lief als Kapitän auf. Später spielte er beim TV Nellingen und stach heraus. Reisig absolvierte mehrere Probetrainings, um den nächsten Schritt zu gehen. „Ich war beim VfB Stuttgart, bei den Stuttgarter Kickers, dem SSV Reutlingen, doch alle haben mir abgesagt.“ Es musste eine Nummer kleiner weitergehen – beim SV Fellbach.

Just in dieser Zeit setzte beim heute 1,93 Meter großen Hünen ein Wachstumsschub ein: „Ich bin zwischen der C- und B-Jugend gut und gerne 20 Zentimeter in die Höhe geschossen und hatte erst mal mit Schmerzen zu kämpfen“. Letztlich aber half ihm das Gardemaß, das eigene Profil zu schärfen. Scouts des damaligen Zweitligisten VfR Aalen wurden auf Reisig aufmerksam. Er kam also doch noch in einem NLZ unter.

Keine Chance gegen Teamkollegen mit Bundesligaerfahrung

„Ich habe in Aalen in der U19 gespielt und dann, noch als A-Junior, in der U23. Danach wurde ich in den Profikader aufgenommen. Ich war superglücklich, dabei zu sein, mich in großen Stadien warmzumachen und habe Gas gegeben, um möglichst oft zu spielen.“

Coach Peter Vollmann allerdings setzte nur selten auf den Rookie. Seine vier Partien in Liga drei absolvierte er allesamt als Einwechselspieler. Drei Mal wurde er kurz vor Schluss aufs Feld geschickt. „Herr Vollmann hat mir oft gesagt, dass ich es gut mache und weiter hart arbeiten muss. Er sah mich als Innenverteidiger. Wahrscheinlich wollte er mich bei Laune halten. Kein Vorwurf an den Coach. Meine Konkurrenten hießen Oliver Barth und Sebastian Neumann, die beide schon in der Bundesliga gespielt hatten. Da war am Ende des Tages für mich kein Platz.“

Dennoch wollten Vollmann und der VfR mit Reisig für eine weitere Saison verlängern. „Ich habe mich damals aber für einen anderen Weg entschieden.“ Auch aus finanziellen Gründen, das gibt Reisig zu. In Aalen habe er in der Dritten Liga von netto circa 900 Euro im Monat leben müssen. „Ich musste mir davon eine Wohnung leisten und mich ernähren. Das Geld hat oft nicht gereicht. Ich war nicht selten bei meiner Bank, um ins Minus gehen zu können.“ Schließlich sagte er dem VfR ab – und nahm die Vollmansche Prophezeiung mit auf Vereinssuche.

Neustart in der Oberliga Baden-Württemberg

„Ich habe es mir vielleicht leichter vorgestellt, dachte, es wird schon ein passendes Angebot kommen, mindestens aus der Regionalliga.“ Reisig absolvierte mehrere Probetrainings, etwa in Lotte, Illertissen oder Koblenz, die jedoch ins Leere liefen. „Irgendwann kam ich an einen Punkt, an dem es schwer war, einen Verein zu finden. Es gab dann nur noch die Option, in die Oberliga zu wechseln.“ Ob er im Nachhinein nicht doch lieber auf das Angebot aus Aalen eingegangen wäre? „Wer weiß schon, wie es gelaufen wäre. Aber dann wäre ich vielleicht heute auch nicht hier.“ 

Von der Saison 2016/17 an spielte Reisig sechs Jahre in der Oberliga Baden-Württemberg. Über den 1. CfR Pforzheim, bei dem er sich für die Rückennummer 71 entschied und diese auch in Hoffenheim trägt („Ich wollte keine gewöhnliche, sondern eine besondere Nummer, am Ende ist es die 71 geworden“), ging es weiter zum SSV Reutlingen und zu den Stuttgarter Kickers, mit denen er den Aufstieg in die Regionalliga Südwest knapp verpasste. Selbst gelang ihm der Sprung nach oben durch den Wechsel zum SGV Freiberg zur Saison 2022/23, zu dessen Etablierung in der vierthöchsten Spielklasse er beitrug, ehe das Angebot aus Hoffenheim eintrudelte.

Parallel zu seinem Leben als semiprofessioneller Fußballer hielt er sich lange Zeit mit Nebenjobs über Wasser. „Ich habe immer im Schichtdienst gearbeitet und mir stets die frühsten Schichten gesichert. Ich wollte meinen Tagen eine Struktur geben und nicht bis zum Mittag im Bett liegen oder rumlungern. Ich habe im Fitnessstudio oder in einer Druckerei gearbeitet, bin oft um 5 Uhr aufgestanden. Wenn man sich erst einmal umgestellt hat, geht das. Ich weiß es aber daher umso mehr zu schätzen, welche Möglichkeiten wir in Hoffenheim haben.“

Bald ist das Familienglück perfekt

Den Auftrag, den jungen „Hoffe zwo“-Spielern auf dem Platz ein Vorbild zu sein, definiert er für sich folgendermaßen: „Ich bin kein Typ, der den Kollegen permanent sagt, was sie besser zu machen haben. Ich kann schließlich selbst noch viel lernen. Ich will aber mit meiner Art zu spielen zeigen, was es bedeutet, sich im Erwachsenenfußball zu behaupten. Denn das musste ich in den vergangenen Jahren oft, und das schwingt dann mit, wenn ich mich körperbetont in die Zweikämpfe werfe.“

Auf dem Platz darf es also auch mal rauer zur Sache gehen. Daneben schätzt Reisig, der mit seiner Freundin Sara und den beiden Hunden Cali und Peppy nach Sinsheim-Reihen gezogen ist, die Ruhe fernab der Metropolen. Das Paar erwartet im Februar erstmals Nachwuchs. Die Vorfreude beim werdenden Vater ist groß: „Im Privatleben steht die Geburt des ersten Kindes jetzt an erster Stelle.“

Der Traum von der Rückkehr in die Dritte Liga darf parallel dazu weiter geträumt werden.

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