Alberico: Rückblick auf ein unglaubliches Halbjahr
Domenico, Deine erste Saison im Herrenfußball war extrem lang: Regionalliga, Youth League – in der Du gemessen an den Minuten 98 Prozent Spielzeit hattest – und abschließend die U20-WM. Wie geht es Dir körperlich?
Ich war drei Tage in Österreich zum Abschalten und jetzt erhole ich mich gerade zu Hause bei meiner Familie. Beim U23-Trainingsstart am 17. Juni war ich in Zuzenhausen und auch bei der Besprechung dabei, aber auf den Platz muss ich natürlich noch nicht. Im Moment ist Erholung angesagt. Der Trainer hat mir bis zum 4. Juli frei gegeben, aber selbstverständlich arbeite ich in dieser Zeit meinen Laufplan ab.
Du blickst auf ein ereignisreiches Halbjahr zurück…
Das kam schon alles überraschend. Dass wir in der Youth League so erfolgreich sein und das Halbfinale erreichen würden, war nicht unbedingt zu erwarten. Meine erstmalige Nominierung für Italiens U20 im Februar auch nicht. Dass ich dann auch prompt für die WM in den 21-Mann-Kader berufen wurde, hatte aber vielleicht auch mit meinen guten Leistungen in der Youth League zu tun…
Lass uns über die U20-WM sprechen. Du wurdest für die abschließenden zwei U23-Spiele freigestellt und bist dann zur Vorbereitung in die Toskana geflogen. Mit welchen Gefühlen ging es dann nach Polen, welche Erwartungen hattest Du?
In erster Linie war ich froh, überhaupt dabei zu sein. Ansprüche an Einsatzzeit hatte ich nicht, zumal die meisten Jungs schon mehrere Jahre dabei sind und teilweise schon Serie B und sogar Serie A gespielt haben. Klar wollte ich auch spielen, aber die Konkurrenz auf der Achter-Position war sehr groß und ich wusste, dass es schwierig wird. Ich wusste aber auch, dass wir als Mannschaft sehr weit kommen können und sich die Chance bieten wird.
Jetzt hast Du sechs Einsätze vorzuweisen. Vier Mal eingewechselt, zwei Mal Startelf und durchgespielt. Zufrieden?
Mit meiner persönlichen Bilanz? Absolut. Außer gegen Mali, das für mich das stärkste Team war (Italien gewann im Viertelfinale 4:2, Anm. d. Red.), durfte ich immer ran. Dass wir aber das Halbfinale gegen die Ukraine verloren haben, war sehr ärgerlich, weil einfach viel mehr drin war. Und weil es für mich nach dem DFB-Pokal und der Deutschen Meisterschaft 2018 sowie in der Youth League jeweils mit der U19 das vierte Mal war, dass ich in einem Halbfinale ausgeschieden bin. Das nervt mich.
Euch wurde im Halbfinale in der Nachspielzeit ein Tor nach Videobeweis aberkannt…
Das war der schlimmste Moment überhaupt. Nach dem Tor sind wir erst durchgedreht vor Freude, dann kam der VAR. Ein ganz blödes Gefühl, das live mitzuerleben.
Und was war der schönste Moment?
Meine erste Einwechslung kurz vor Schluss im Gruppenspiel gegen Mexiko. Und die gegen die Ukraine zur Halbzeit, als ich dann auch ein richtig gutes Spiel gemacht habe.
Einige der Ukrainer, die dann auch Weltmeister wurden, kanntest Du noch aus der Youth League…
Ja, da waren viele Jungs aus Kiew und Donezk dabei. Wir haben aber nicht miteinander geredet und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob sie mich als Hoffenheimer erkannt haben.
Im Spiel um Platz drei gegen Ecuador durftest Du nochmal 120 Minuten ran…
Wir haben in der Verlängerung einen Elfmeter verschossen und kurz darauf das 0:1 kassiert. So sind wir ohne Medaille nach Hause geflogen. Das hat uns ein komisches Gefühl gegeben, denn wir waren so gut gestartet, hatten in der Gruppe auch Ecuador geschlagen und standen dann mit leeren Händen da.
Wie kommt es, dass Du nach einer so langen und anstrengenden Saison am Ende noch so viel Körner hattest?
Als ich gegen die Ukraine eingewechselt wurde, habe ich einfach meine Lust am Fußball gelebt. Ich wollte unbedingt das Finale erreichen und meinen Beitrag dazu leisten. Und ich wollte das Vertrauen des Trainers zurückzahlen. Das alles hat nochmal Kräfte freigesetzt.
Was überwiegt jetzt mit etwas Abstand: Die Enttäuschung über den zum Greifen nahen, aber verpassten Titel, oder die Freude über diese Erfahrung?
Ganz klar die Freude. Die Teilnahme an einer U20-WM kann mir niemand mehr nehmen, das war schon etwas Besonderes. Wir hatten ständig Polizeieskorte, fünfstellige Zuschauerzahlen – und die Fans waren in jedem Spiel gegen uns. Das hat uns motiviert. Wir haben uns über das gesamte Turnier gegenseitig gepusht und mit viel Herz gespielt.
Du hast Dir mit Torwart Alessandro Plizzari vom AC Mailand das Zimmer geteilt. Wie bist Du als „Deutscher“ generell im Kreis der „Azzurri“ aufgenommen worden?
Super. Wir haben uns sehr gut verstanden, unsere WhatsApp-Gruppe existiert noch und mit einigen Jungs bin ich noch im Austausch.
Deine Eltern, die ja beide in Italien geboren sind, müssen vor Stolz geplatzt sein?
Leider konnten sie bei den Spielen nicht vor Ort sein. Aber sie haben sie mit der Groß-Familie am Fernseher mitgefiebert. Ich habe vor und nach den Spielen viele Nachrichten bekommen, auch von einigen TSG-Kollegen und meinem Trainer Marco Wildersinn.
Du bist in Deutschland geboren und aufgewachsen und hast das Fußballspielen hier gelernt. Was ist bei den Italienern anders?
Es war auf jeden Fall etwas Neues für mich. Der größte Unterschied liegt darin, dass die Italiener versuchen, etwas mehr Lockerheit und Spaß ins Spiel zu bringen.
Ein Thema müssen wir noch anschneiden: Die italienische Sporttageszeitung Tuttosport lässt seit 2003 jährlich Europas besten U20-Spieler wählen und kürt den Gewinner zum „Golden Boy“. Dein Name ist in der Liste der 100 Nominierten auch aufgetaucht!
Ja, mein Vater hat mich darauf hingewiesen. Das liegt sicher an meinen Leistungen in der Youth League und im WM-Halbfinale gegen die Ukraine. Eine nette Geschichte, aber ich kann das durchaus einordnen. Letztes Jahr hat Matthjis de Ligt von Ajax gewonnen, in der aktuellen Liste steht João Félix von Benfica. Aber klar bin ich stolz, überhaupt in dieser Liste aufgeführt zu sein. Zumal sie in alphabetischer Reihenfolge ist und ich somit an zweiter Stelle stehe!