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HISTORIE
06.08.2024

Von leeren Trikotkoffern und blutverschmierten Brühwannen

Siegbert Hoffmann und Fritz Bartmann gehören zu den ältesten Ex-Spielern der TSG. Die beiden 84-Jährigen bekleideten auch noch andere Funktionen im Verein und gehören zu den wenigen Zeitzeugen, die aus erster Hand erzählen können, wie sich alles zugetragen hat. Damals, als die TSG Hoffenheim noch ein echter Dorfklub war. Wir haben uns mit den beiden Ehrenmitgliedern im Heimatmuseum in Hoffenheim getroffen.

Der Eingangsbereich des Heimatmuseums, in dem Siegbert Hoffmann in einem Hinterraum auch liebevoll ein kleines TSG-Zimmer eingerichtet hat, versprüht den Charme einer urigen Kneipe aus der Nachkriegszeit: Historische Bilder aus Hoffenheim hängen an der Wand, die Fenster sind mit Gardinen verhangen, Hoffmann und Bartmann haben auf ihren Holzstühlen am Tisch Platz genommen. Bartmann trägt eine TSG-Kappe, es fehlt nur das Bier, aber dafür ist es zu früh am Tag. Die Zungen sind auch ohne Gerstensaft gelöst. Schließlich geht es um die alten Zeiten. Und um ihre TSG.

Blick in das "TSG-Zimmer" im Heimatmuseum.

Siegbert Hoffmann, Jahrgang 1939, kam als Elfjähriger nach Sinsheim, ehe er später „nach Hoffenheim“ heiratete. Durch die WM 1954 kam er mit dem Fußball in Kontakt und schloss sich zunächst dem SV Sinsheim an. Bei der TSG spielte Siegbert Hoffmann von 1967 bis 1992 aktiv, von 1976 bis 2000 war der gelernte Schreinermeister mit zwei Jahren Unterbrechung (1989-91) Abteilungsleiter Fußball.

Fritz Bartmann kam 1940 zur Welt. In Hoffenheim, schräg gegenüber des Heimatmuseums in der Waibstadter Straße, wo er auch aufwuchs. Vor der WM 1954 kickten die Jugendlichen hauptsächlich auf der Straße, die weitgehend autofrei waren. Oder auf der „Platte“, wie die Wiese, auf der sich heute der Schulsportplatz befindet, in jenen Tagen genannt wurde. „Hoffenheim war in zwei Teile aufgeteilt, links und rechts der Bundesstraße“, erinnert sich Bartmann. Dietmar Hopp wohnte „auf der anderen Seite“, in der Nähe des Bahnhofs, wo ebenfalls gekickt wurde.

Bei Dauerregen schwappte der Platz ins Dorf

Das „Wunder von Bern“, das die meisten Hoffenheimer vor einem Fernseher im „Ratskeller“ verfolgten, veränderte alles. Das Fußball-Fieber griff um sich. Gekickt wurde überall, bei Wind und Wetter, wo gerade Platz war. Nicht nur auf der „Platte“ oder auf dem Waldsportplatz „im Rot“ (heute Dietmar-Hopp-Stadion), auch das Gelände am „Dührener Berg“ wurde von den Ball-Enthusiasten in Beschlag genommen, für die Verbandsrunde war das „Ochsenkopfstadion“ allerdings zu klein. „Es wurde eine Halbserie dort gespielt, aber danach weigerten sich die Gegner, hier anzutreten“, so Hoffmann.

Die TSG hatte nach dem Zweiten Weltkrieg oben auf dem Waldsportplatz ihre Heimat gefunden. Kühe wurden mit Karren über die Wiese getrieben, um sie begehbar zu machen, Platzwartung in den 1950er Jahren eben. „Wenn Schnee lag, wurde trotzdem gespielt. Der Schiedsrichter ließ eine Furche ziehen, und wenn der Ball problemlos durchrollte, pfiff er an“, so Hoffmann. Das Gelände befindet sich einige Höhenmeter über dem Dorfkern. „Wenn es heftig regnete, wurde der halbe Platz in den Ort gespült“, erzählt Bartmann so lebendig, als wäre das noch immer regelmäßig der Fall.

Der Waldsportplatz - wenn es regnete, stand er unter Wasser.

Die Dorfbewohner waren daher öfters im Einsatz. Nicht nur, um die Straßen wieder vom Schlamm frei zu kriegen, sondern um sich generell um die Instandhaltung des Platzes zu kümmern. „Ich bin jeden Morgen um 4 Uhr aufgestanden und zum Platz hochgelaufen, um die Beregnungsanlage anzumachen“, so Bartmann, der im Hauptberuf als Tierpfleger in Heidelberg arbeitete. „Für mich hat sich alles um Fußball und die TSG gedreht, ich war Streicher, Platzwart, Abteilungsleiter, Jugendtrainer und natürlich Spieler.“

Auch andere TSG-Mitglieder machten sich hier verdient, wie etwa Heinz Seyfert, Dieter Kundt oder Werner Wiedemann. Und dann war da noch Wilhelm Schilling, ein Sprengmeister, der im Nußlocher Steinbruch arbeitete. „Der hat hin und wieder ein paar Sprengungen durchgeführt, da haben sich die Anwohner besonders gefreut“, sagt Bartmann. Die Hoffnung, dass das Wasser in den entstandenen Löchern versickern würde, erfüllte sich jedoch nicht. Der direkt an einem Felsen liegende Platz blieb meist versumpft. Also wurden Bäume gepflanzt, damit die Wurzeln die Erde festhalten. „Die alten Herren haben den Verein am Leben gehalten“, sagen die beiden Rentner. „Die größte Einnahmequelle waren die Dorffeste, aus den Erlösen wurden zum Beispiel E-Jugend-Tore gekauft.“

Regenschirm-Attacken und Pokalsieg

Für den „großen Fußball“ war damals weder Zeit noch Geld vorhanden. „Die Zugfahrt nach Stuttgart hat 50 Pfennige gekostet, das konnten wir uns nicht leisten.“ Die 1963 gegründete Bundesliga war weit weg. Der Hoffenheimer Fußball fand ausschließlich im Kraichgau statt. Meist in der B-Klasse, von ein paar Ausflügen in die A-Klasse abgesehen. Hitzige Duelle in Daisbach, Reichartshausen oder Untergimpern. „Da gab es nicht selten Fußbrüche oder Regenschirm-Attacken von erbosten Zuschauern“, erinnert sich Hoffmann.

Auch wenn die überregionale Aufmerksamkeit damals fehlte, in Hoffenheim sorgten diese Erinnerungen für Furore, in den Köpfen Hoffmanns und Bartmanns sind sie fest verankert. Das Jahr 1961 zum Beispiel, als die TSG vier Meisterschaften gewann: Mit der ersten Mannschaft, der Reserve, der Jugend- und der Schülermannschaft. „Mehr Teams gab es ja nicht.“ Oder als die TSG mal die stärkeren Nachbarn vom FC Zuzenhausen im Pokal ärgerte. „Sie waren technisch besser, wir haben sie aber nicht spielen lassen“, so Bartmann. Einmal holte die TSG sogar den Kreispokal. „Wir haben in Gemmingen den TSV Steinsfurt geschlagen. 3:1 oder 4:1, so genau wissen wir das nicht mehr.“ Auch mit der Jahreszahl tun sich die beiden schwer. „Das war unter Trainer Wolfgang Frey, muss also zwischen 1966 und 1969 gewesen sein.“ Das reicht als ungefähre Einordnung, Hauptsache: Pokalsieger!

Anfang der 1970er Jahre hatte die TSG auch ihren ersten Trikotsponsor. Das war nicht etwa, wie es in einem Buch über die TSG geschrieben steht, „Baustoffe Zimmermann“, sondern das heute nicht mehr existierende „Café Don Quijote“, das einen Trikotsatz spendete. Später prangte auch die Adler-Brauerei aus Zuzenhausen auf der TSG-Brust. „Trikotwerbung war damals noch nicht erlaubt“, so Hoffmann. „Ich musste extra nach Karlsruhe fahren, um mir die Sondergenehmigung abstempeln zu lassen.“

Klubhaus als Existenzgrundlage

In diesem Zeitraum, zwischen 1969 und 1971, entstand auch das neue Klubhaus. „Das wurde von Hoffenheimern in Eigenregie erbaut und suchte in der Region seinesgleichen“, betonen Hoffmann und Bartmann stolz. „Wir können nicht alle Namen der am Bau Beteiligten benennen und die investierten Stunden aufzählen, aber stellvertretend müssen zwei Namen genannt werden: Hermann Zuber und Gerhard Schmitt. Zuber war acht Jahre Vereinskassierer und hat regelmäßig eigene Mittel riskiert, um anfallende Materialrechnungen zu begleichen und so den Weiterbau zu ermöglichen. Schmitt war ein Baumeister aus Dühren, der ebenfalls nach Hoffenheim geheiratet und später auch bei den Alten Herren der TSG gespielt hat.“

Das alte TSG-Klubhaus kurz vor der Fertigstellung 1971.

Das Klubhaus war für einen B-Ligisten von beispielloser Größe, der Wirtschaftsbetrieb bildete die Finanzierungsgrundlage der Vereinsausgaben. „Wir haben es nach und zwischen einigen Verpachtungen in Eigenregie betrieben“, sagt Hoffmann, der selbst fünf Jahre lang als Klubhauswirt fungierte. Schmitt folgte ihm von 1984 bis 1989. 1999 musste das Klubhaus für den Bau der Haupttribüne des Dietmar-Hopp-Stadions Platz machen.

Der „Babbedeckel“ jagte die Spieler die Treppen hoch

Schon lange bevor ein Felix Magath in Wolfsburg die Treppen für sich entdeckte und seine Profis darüber scheuchte, hatte TSG-Trainer Reinhard Hassert bereits Mitte der 1970er Jahre dieselbe Trainingsmethode schon angewendet. „Das waren 136 Stufen, die der ‚Babbedeckel‘ uns da zum Waldsportplatz hochgejagt hat“, blicken Hoffmann und Bartmann nur ungerne auf diese Einheiten zurück.

Die „Hoffenheimer Jungs“ kannten sich natürlich alle untereinander. „Wir waren ja gemeinsam in der Grundschule.“ Die befand sich ganz in der Nähe von dem Ort, wo heute die Firma Zimmermann ihren Sitz hat. „Mit Klaus Zimmermann hatte Dietmar Hopp später einen guten Draht, die waren eng verbandelt.“ Beide spielten in der ersten Mannschaft der TSG, Bartmann erinnert sich zudem an „den Kempny Herbert im Tor“ und nennt Namen wie Herbert Hauert oder Norbert Eichstädter. „Damals hatten wir vier, fünf Leute in der Kreisauswahl.“ Als erster „bezahlter“ Trainer gilt Gerhard Spies, der aus Mannheim gekommen war und ebenfalls „nach Hoffenheim geheiratet“ hatte. Er wurde als Spielertrainer mit einem Paar Kickschuhe pro Jahr entlohnt.

Metzgerei als Umkleidekabine

Ja, die immer wieder erzählte Geschichte von der Leberwurst, die ein spendabler Hoffenheimer für jedes geschossene Tor dem Linksaußen Dietmar Hopp versprochen hatte, kennt Hoffmann natürlich auch: „Das war der Bauer Engelhardt. Es gab auch Mitglieder, die Dietmar Hopp die Zugfahrt von Karlsruhe, wo er stationiert war, zu den Heimspielen sponserten.“

Die Anekdoten, die Hoffmann und Bartmann parat haben, würden Abende und Bücher füllen. Sie handeln von leeren Trikotkoffern bei Auswärtsspielen, weil jemand vergessen hatte, die Spielkleidung zu richten. Oder von Trikottaschen mit ausgelaufenen Cognac-Flaschen. Oder davon, wie sich die Gegner in Ermangelung einer Kabine in einer Metzgerei umziehen mussten, ausgerechnet in jenem Raum, in dem sich die blutverschmierten Brühwanne befand. Geduscht wurde nach dem Spiel am Brunnen auf der Straße. „In Sinsheim gab es schon Duschen, aber auf den Dörfern noch nicht, die Kickschuhe haben wir in der Regenrinne geputzt. Manchmal haben wir uns in einer Wirtschaft einen Eimer warmes Wasser geholt. Der musste für alle reichen.“

Es gab damals auch „Bürokratie-Probleme“, die aus heutiger Sicht unglaublich erscheinen. So musste zum Beispiel ein begehrter Spieler wochenlang auf seine Spielgenehmigung warten. Der Grund: Der Passantrag war nicht verschickt worden. Man wollte warten, bis weitere Einträge eingehen, um Portokosten zu sparen. In einem anderen Fall – es ging um den vom FC Zuzenhausen umworbenen Mittelstürmer Manfred Feßenbecker – hastete Hoffmann spätabends nach Heidelberg, weil sich dort der einzige Postschalter der Region befand, der bis Mitternacht geöffnet hatte, um ein Einschreiben innerhalb der Frist zu verschicken.

Hitzige Versammlungen im „Adler“

Dort, wo sich heute die Metzgerei Hess befindet, stand früher das Gasthaus „Zum Adler“. Hier fanden Spieler- und Vorstandssitzungen statt – und dabei ging es oftmals sehr hitzig zu. „Wir hatten eine sehr gut geführte Turnabteilung, die nicht nur an Badischen Meisterschaften teilgenommen hat, sondern auch viele Meister stellte, wie zum Beispiel Regina Hauert, Manfred und Helmut Gilbert oder Inge Specht“, erzählt Hoffmann. „Nicht zu vergessen Kalman Konya, der es in den Deutschen Olympiakader der Kugelstoßer geschafft hat.“

Aber zwischen den Turnern und den Fußballern gab es dann hin und wieder Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Finanzen. Der Alkohol spielte manchmal auch eine Rolle. Ein Vorstand wurde einst weit nach Mitternacht gewählt – und war kaum noch in der Lage, seine Wahl mit Unterschrift schriftlich zu besiegeln. Die Bundesliga war zu diesem Zeitpunkt noch Lichtjahre entfernt.

TSG-Vereinslokal bis 1914: Das Gasthaus "Zum Rössel" (heute "Ludwighof").

In den Vorkriegsjahren war das „Rössel“ der Versammlungsort der Mitglieder. Hier wurde 1899 der Turnverein gegründet, bis 1914 war es das Vereinslokal. Es gehörte der Familie Ludwig, der unter anderem Dr. Julius Ludwig entsprang. Er war in der Gründerzeit im Verein aktiv, ehe er in den 1940er Jahren kurz vor der Ära Konrad Adenauers Bürgermeister in Köln wurde und später nach Hoffenheim zurückkehrte. Heute befindet sich hier, schräg gegenüber des Heimatmuseums, der „Ludwighof“, der einen Hofladen sowie ein Café beherbergt.

Übergang in die Neuzeit

Wir nähern uns der Neuzeit. Ende der 1980er Jahre musste Hoffmann eine kurze Pause einlegen und das Amt des Fußball-Abteilungsleiters für zwei Jahre an Siegbert Eichstädter abgeben. Als Ladenbauer schickte ihn sein Arbeitgeber aus Neidenstein oftmals in die weite Welt hinaus, unter anderem nach Kiew oder auf die Karibikinsel Aruba.

Zum Ende seiner ersten Amtszeit hatte die TSG den Oberliga-Torjäger Peter Podkalicki als Spielertrainer nach Hoffenheim gelotst. Der „Podder“ verließ den Klub nach nur einem Jahr und der verlorenen Relegation gegen den 1.FC Stebbach wieder. Das war 1989. Anschließend bot Dietmar Hopp seine Unterstützung an. Der Rest ist Geschichte.

Berberig wurde 1991 Präsident, Hoffmann kehrte als Abteilungsleiter Fußball zurück. Beide verfassten 1999 die Festschrift zum 100. Geburtstag der TSG, ohne sie würde es die darin enthaltene wertvolle Vereinschronik nicht geben. Hoffmann hatte bereits zum 75. Jubiläum der Fußballabteilung 1996 die bis dahin unzureichenden Aufzeichnungen ergänzt, verbessert und auf den aktuellen Stand gebracht. Unter anderem war es ihm gelungen, den zuvor nicht bekannten Tag der Vereinigung des TV mit dem FV mit Originaldokumenten zu belegen: 7. März 1946.

1998 wurde Peter Hofmann zum ersten Vorsitzenden der TSG gewählt. „Peter war ein guter Freund Dietmar Hopps, der ihn über alle Maßen schätzte. Das hat einfach gut gepasst“, sagt Hoffmann über den 2020 verstorbenen Ex-Präsidenten.

Start in die Neuzeit. Dritter von links Erwin Rupp.

„Spieler wie Erwin Rupp oder Michael Groß waren Mitte der 1990er Jahre unsere ersten Top-Zugänge“, sagt Bartmann. „Später kamen weitere überragende Fußballer wie Jürgen Maurer, Nešo Đurić und vor allem Alfred Schön hinzu“, ergänzt Hoffmann. Die meisten Spieler arbeiteten für die SAP. Die TSG als Verein konnte mit dem Aufschwung zunächst nicht ganz Schritt halten. „Trainer Raimund Lietzau wurde nach einem verlorenen Spiel in Sinsheim noch auf dem Parkplatz entlassen“, erinnert sich Hoffmann.

Hoffmann und Bartmann schwelgen gerne in Erinnerungen an die gute, alte Dorfklubzeit. So überrascht es auch nicht, dass sie – nach ihrem schönsten TSG-Moment befragt – einstimmig antworten: „Der Aufstieg in die Bezirksliga Sinsheim. Die Mannschaft bestand durchweg aus Hoffenheimern, die ohne Ausnahme zum Nulltarif gespielt haben. Lediglich die Wehrdienstleistenden haben einen kleinen Fahrtgeldzuschuss bekommen.“

Es war schön, über die alten Zeiten zu sprechen. Zu Hause warten aber die Frauen mit dem Mittagessen. Hoffmann und Bartmann stellen sich noch einmal vor dem Heimatmuseum für ein gemeinsames Foto auf. Sie leben nach dem Motto: „Es ist nicht wichtig, wie alt Du wirst, sondern wie Du alt wirst.“ Gegen den Ball treten sie schon lange nicht mehr. Bartmann widmet sich ganz seiner Familie und dem Garten. Hoffmann hat mit dem Schreibmaschinenmuseum eine neue freizeitfüllende Beschäftigung gefunden.

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