U19-Assistenzcoach Niklas Bräuer: Zwischen Selbstvertrauen und Demut
Wer Niklas Bräuer fragt, ob es schon immer sein Ziel war, irgendwann hauptamtlich als Trainer zu arbeiten, der erhält darauf kein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“ als Antwort. Zu ungewöhnlich ist er verlaufen, der persönliche Weg vom Studenten und College-Fußballer zum Assistenzcoach im Leistungszentrum in Hoffenheim – und das mit gerade einmal 24 Jahren. Sicherlich, in seinen Gedanken spielte die Option des Jobs an der Seitenlinie auch eine kleine Rolle, als er im Jahr 2019 die Entscheidung traf, nach dem Abitur in die USA überzusiedeln. In erster Linie allerdings wollte sich Bräuer auf der anderen Seite des Großen Teichs auf dem Platz beweisen und – vielmehr noch – eine Basis fürs Berufsleben legen. „Ich wollte unbedingt einen Abschluss in den USA machen, der einem in vielerlei Hinsicht auf der ganzen Welt Türen öffnet.“ Das gelang ihm: Den Bachelor in Sportwissenschaften und Wirtschaft hat er seit einigen Monaten in der Tasche. Ein Tor war für ihn indes schon vorher aufgegangen – weswegen er nun in Zuzenhausen wohnt, als Co-Trainer der U19 arbeitet und sich in der Region bereits sehr wohlfühlt: „Das erinnert mich an meine Heimat, am Rande Hamburgs: viel Natur, alles schön grün – und trotzdem ist man schnell in Städten wie Heidelberg oder Frankfurt.“
Eng verbunden ist der Einstieg Bräuers als Trainer in der TSG-Akademie mit seinem direkten Vorgesetzten: U19-Chefcoach Tobias Nubbemeyer baut auf die Dienste des gebürtigen Hamburgers, seit er ihn bei Philadelphia Union, dem Arbeitgeber des Duos bis zum vergangenen Sommer, in sein U17-Trainerteam aufgenommen hatte. Sportdirektor beim Klub in der für die USA historisch ungemein bedeutenden Stadt – in Philadelphia wurde im Jahr 1776 die Unabhängigkeitserklärung verkündet – ist der frühere Hoffenheimer Funktionär Ernst Tanner, der bei den Blau-Weißen unter anderem in der Saison 2009/10 das Nachwuchsleistungszentrum leitete. Auch er hatte Potenzial in Bräuer erkannt, in der Zeit, in der der Nachwuchscoach einige Monate bei Philadelphia Union hospitierte.
Über diesen Einstieg sagt Bräuer rückwirkend: „Mir ist bewusst, dass es ein Privileg ist, die Chance erhalten zu haben. Dafür bin ich dankbar. Ich bin aber auch selbstbewusst genug, um zu sagen, dass ich die Chance zurecht erhalten habe. Ich bin zu Beginn, wahrscheinlich auch aufgrund meines Alters, mit dem Ansatz an die Aufgaben herangegangen, mich unbedingt beweisen zu wollen. Das habe ich hinter mir gelassen. Es geht um die inhaltliche Arbeit auf dem Platz und in der Videoanalyse mit den Jungs, die muss stimmen. Die Erfolge, die wir mit Philadelphia feiern durften, haben sicherlich auch einen Teil zu meiner persönlichen Entwicklung beigetragen und Selbstvertrauen geschaffen.“
Zwei Titel mit der U17 in Philadelphia
In der Tat lief es mit Bräuer als Co-Trainer hervorragend für die U17 der Blau-Goldenen. Im Jahr 2022 gewann Philadelphia den MLS-Cup, also die nationale Meisterschaft, und ein Jahr später den Generation Cup, ein hochkarätig besetztes U17-Turnier der Major League Soccer, an dem auch internationale Teams wie etwa Manchester United teilgenommen hatten. Es waren auch diese Triumphe, die Nubbemeyer als Chefcoach und dementsprechend auch Bräuer in den Fokus der TSG Hoffenheim rückten. Als Nubbemeyer das Angebot erhielt, in den Kraichgau zu wechseln, setzte ein Prozess ein, der eine gewisse Zeit in Anspruch nahm. „Wir waren zwei Mal vor Ort, haben uns alles angeschaut. Tobias hat mich mit einbezogen. Mir war allerdings schnell klar, dass ich mir das sehr gut vorstellen kann, und jetzt bin ich sehr glücklich, hier zu sein.“
Im Fußball sind es oft Zufälle, spontane Begegnungen oder Entwicklungen, die Karrieren beeinflussen. Wer weiß, wie die weitere Laufbahn Bräuers verlaufen wäre, wenn ihm als Jugendfußballer nicht irgendwann einmal ein Gegenspieler in den Rücken gesprungen wäre, wie er es selbst umschreibt. Bräuer verletzte sich und hat mit den Folgen im Grunde genommen bis heute zu kämpfen. „Wenn ich selbst Fußball spiele und alles aus mir heraushole, spüre ich irgendwann die Belastung. Als ich noch aktiv war, sind immer wieder Schmerzen an der Wirbelsäule aufgetreten, die mich dann auch zurückgeworfen haben.“
Bräuer, der als Angreifer begann und später zum Linksverteidiger umgeschult wurde, zählte als Junior zwar nicht zu den Talenten, die in den Notizbüchern in den Nachwuchsleistungszentren ganz oben auftauchten, beim TSV Buchholz 08, zu dem er von seinem Heimatverein TuS Nenndorf gewechselt war, spielte er aber immerhin in der C-Junioren-Regionalliga, also der höchsten Liga in dieser Altersstufe. Später war er für den TV Meckelfeld aktiv, erst in der Niedersachsenliga der A-Junioren, dann bei den Aktiven, in den Statistiken im Internet sind sieben Einsätze in der Landesliga Lüneburg in der Saison 2018/19 für den damals 19-Jährigen verzeichnet – kontinuierlich zu seinem Spielrhythmus fand er in dieser Zeit aufgrund der zuvor zugezogenen Verletzung allerdings nie. „Ich wollte dann einen anderen Weg gehen und habe mich nach dem Abitur dazu entschieden, mit einer Agentur, die Fußball-Stipendien in die USA vergibt, zusammenzuarbeiten. Ich wollte es noch einmal wissen.“ Das Investment sollte sich auszahlen: Bräuer absolvierte gemeinsam mit vielen weiteren Kandidaten ein Probetraining vor den Augen zahlreicher Scouts US-amerikanischer Hochschulen und überzeugte dabei. Danach meldeten sich einige Universitäten bei ihm – seinen Zuschlag erhielt das Camden College in New Jersey.
Erfolge bei den Camden Cougars, Laufbahnende bei den LCU Chaparrals
Fußball spielte er dort fortan bei den Camden Cougars, feierte Erfolge in regionalen und nationalen Meisterschaften und hatte seine Beschwerden am hinteren Körper noch mal kurzzeitig im Griff. Er erhielt nach einem Jahr das Angebot, an die Lubbock Christian University zu wechseln und dort für die LCU Chaparrals zu spielen – in der höchsten Liga auf College-Niveau in Texas. Nach wenigen Wochen bei den Chaparrals brach die Verletzung am Rücken jedoch wieder auf. „Danach habe ich eingesehen, dass es keinen Sinn mehr macht, auf hohem Niveau Fußball zu spielen.“
Begünstigt wurde dieser Entschluss sicherlich von der parallel vorangeschrittenen Entwicklung als Trainer. Bereits in Deutschland hatte er in der Heimat in Nenndorf (Ortsteil in der niedersächsischen Gemeinde Rosengarten) Jugendmannschaften trainiert und zudem über Jahre Erfahrungen als Coach in der Rabauken Fußballschule des FC St. Pauli gesammelt. Zum Zeitpunkt des Wechsels nach Texas besaß Bräuer dann bereits die ersten Kontakte zu Philadelphia Union – auch, weil der Norddeutsche kurz nach seiner Ankunft in den USA die U15 des SJEB FC als Coach übernommen hatte. Dank dieser Arbeit im regionalen Fußball in South Jersey tauchte er auf dem Radar Tanners und Nubbemeyers auf.
An dieser Stelle reflektiert Bräuer erneut, dass er auch zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: „Ich habe als junger Deutscher in der Region als Trainer gearbeitet, bei Philadelphia standen zwei Deutsche im Nachwuchs eines MLS-Vereins in der Verantwortung. Es war sicherlich nicht komplett überraschend, dass wir uns dann einmal kennengelernt haben. Abzusehen, dass so viel daraus wird, war es zu Beginn sicherlich noch nicht.“ Allerdings wurde schnell klar, dass sich Nubbemeyer und Bräuer gut ergänzen und bestens verstehen. Ihre größte Ähnlichkeit dürfte vermutlich das äußere Erscheinungsbild sein. Darauf angesprochen, lacht Bräuer und berichtet: „Ja, das bekommen wir ab und an zu hören und müssen das dann klarstellen.“ Rein sportlich betrachtet, sieht sich der Co-Trainer als Bindeglied zwischen Chefcoach und der Mannschaft. Er selbst sagt über seinen Vorgesetzten: „Tobi hat einen sehr hohen Anspruch an sein Umfeld. Ich habe von Beginn an einen Weg gefunden, zu verstehen, was er einerseits von mir erwartet und andererseits auch von der Mannschaft. Vertrauen spielt eine große Rolle. Deswegen habe ich auch viele Freiheiten, worüber ich froh bin. Ich sehe eine meiner Aufgaben auch darin, mit Ideen Impulse zu setzen und uns als Trainerteam dadurch auch immer wieder vor Herausforderungen zu stellen. Die Entscheidungen trifft am Ende des Tages der Chefcoach, auf dem Weg dorthin laufen viele Prozesse ab.“
Standardtraining trägt bei der U19 Früchte
Konkret liegt Bräuer das individuelle Training am Herzen. „Ich bin fest davon überzeugt, dass in der Arbeit direkt mit dem Spieler sehr viele Potenziale herausgearbeitet werden können.“ Zudem kümmert sich Bräuer schwerpunktmäßig um das Training der Standardsituationen, defensiv wie offensiv. Den Co-Trainer freut es, dass sich die U19 in diesem Bereich augenscheinlich verbessern konnte in den vergangenen Wochen. „Bei unseren einzigen Niederlagen in dieser Saison zu Beginn gegen 1860 München und bei Eintracht Frankfurt haben wir Treffer nach Standardsituationen kassiert, danach nur noch einmal eins gegen die Bayern per Elfmeter. Umgekehrt sind wir in den Spielen gegen Heidenheim, Dortmund, Kaiserslautern, Düsseldorf, Nürnberg, Ingolstadt und Sandhausen jeweils nach einem ruhenden Ball in Führung gegangen. Das waren die Dosenöffner, um die Spiele auch zu gewinnen. Letztlich haben sich die Spieler das Lob verdient, da sie hart dafür arbeiten, um in jeder Situation hellwach zu sein.“
Die starken Standards – insgesamt 17-mal knipsten die A-Junioren in dieser Saison in 13 Pflichtspielen unmittelbar nach vorherigen Spielunterbrechungen – sind nur ein Indikator für die insgesamt famose Siegesserie, die die U19 in den vergangenen Wochen aufgestellt hat. Rechnet man alle Partien seit dem 2. September, als gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal ein fulminanter Erfolg gelang, mit ein, verließen die Hoffenheimer 14-mal in Folge als Sieger den Platz: sieben Mal in der Bundesliga, je zwei Mal im DFB- und im Verbandspokal sowie drei Mal in Testspielen. Entscheidenden Anteil an diesem Lauf misst Bräuer dem 6:0 gegen den BVB bei. „Das war ein Befreiungsschlag. Ein deutlicher Sieg gegen einen starken Gegner. Seitdem legen wir eine beeindruckende Konstanz an den Tag.“ Sie hat die TSG auf Platz eins in der Liga und im DFB-Pokal ins Viertelfinale geführt, dort gastiert die U19 am 17. Dezember beim Hamburger SV ausgerechnet in Bräuers Geburtsstadt. „Es werden sicherlich einige Freunde und die Familie vorbeikommen“, freut sich der Co-Trainer, der im Stadtteil Harburg geboren wurde, auf die Partie.
Bis dahin und auch darüber hinaus gelte es, den Fokus zu behalten. „Ich schaue nicht auf die Tabelle. Wir müssen uns auf uns konzentrieren und jeden Tag im Training Vollgas geben“, macht Bräuer deutlich – schiebt allerdings hinterher: „Wenn alle fit bleiben und die Mannschaft weiterhin so konstant gute Leistung abruft, wird am Ende der Saison die Möglichkeit bestehen, dass etwas Zählbares dabei herauskommt.“