„Hoffe zwo“-Serie (25): Fabian Rüth, der (Fußball)Verrückte
Als echter Kölscher Jung tat sich Fabian Rüth im ruhigen Kraichgau anfangs noch etwas schwer. Für den 19-Jährigen, der im vergangenen Sommer aus Köln in seine erste eigene Wohnung nach Nußloch zog, kam die neue Umgebung einem kleinen Kulturschock gleich. „Es war für mich natürlich etwas ganz anderes als in Köln, wo ich bislang mein ganzes Leben verbracht hatte. Ich fühle mich zwar in meiner Wohnung wohl, aber vermisse auch die Großstadt.“
Auf dem Platz gab es diese Anpassungsprobleme nicht, nachdem Rüth vor neun Monaten von Bayer Leverkusens U19 zu „Hoffe zwo“ gekommen war. „Unsere Mannschaft hat einen super Charakter und deshalb habe ich mich auch gleich wohlgefühlt.“ Dass er schnell Anschluss in seinem neuen Team fand, lag auch an seinem offenen Wesen. „Ich bin einfach auf die Jungs zugegangen und komme im Mannschaftskreis auch schon mal aus mir raus. Da bin ich ein bisschen ein Verrückter.“ Auch für die Musik in der Kabine war Rüth bald zuständig und auch dadurch innerhalb kürzester Zeit voll in sein neues Team integriert.
Doch nicht nur in seiner Rolle innerhalb der Kabine beschreibt sich Rüth als ein bisschen extravagant. Er bezeichnet sich auch voller Überzeugung als Fußballverrückten. „Wenn ich sechs Tage die Woche Training habe, gehe ich am liebsten am siebten noch auf den Bolzplatz. So war das schon immer.“
Fußballbegeisterte Familie
Seit er dreieinhalb Jahre alt ist, spielt Rüth im Verein. „Mein Vater ist in meinem Heimatklub SV Deutz 05 sehr engagiert. Auch mein Opa war dort jahrelang aktiv und bis zu seinem Tod bei jedem meiner Spiele dabei. Ich war von klein auf regelmäßig auf dem Sportplatz, bin dem Verein sehr verbunden und habe mir geschworen, dass ich eines Tages noch mal für Deutz auflaufen werde.“ Rüths Vater spielte einst sogar in der Jugend des 1.FC Köln. Die Liebe zum Fußball lag also in der Familie.
Dass Fabian Rüth nicht nur Liebe zum Spiel, sondern auch Talent mitbrachte, war schon früh offensichtlich. Nach der U13 wechselte er in die U14 des FC Hennef, der im Kölner Umland für seine gute Nachwuchsarbeit bekannt ist. Auch dort überzeugte das vielseitig im linken Mittelfeld oder in der Verteidigung einsetzbare Talent, sodass noch im selben Jahr die Scouts von Bayer Leverkusen auf Rüth aufmerksam wurden und ihn für die U15 des Bundesligisten verpflichteten. „Das war natürlich noch mal ein großer Schritt. Plötzlich habe ich regelmäßig gegen Köln oder Dortmund gespielt.“
Heiße Duelle mit Moukoko im DM-Halbfinale
Auch im Nachwuchs des Bundesligisten machte Rüth auf sich aufmerksam. Die Entwicklung in der U15 war sogar so gut, dass er nach der Saison als U16-Spieler bereits in die U17 hochgezogen wurde. In seinem zweiten B-Jugend-Jahr wurde er mit Leverkusen dann Westdeutscher Vizemeister und erreichte das Halbfinale um die Deutsche U17-Meisterschaft 2017/18. „Das war natürlich ein Highlight. Im Hinspiel war ich noch verletzt, aber im Rückspiel in Dortmund habe ich dann vor 1.800 Zuschauern gegen Toptalente wie Youssoufa Moukoko gespielt. Leider haben wir 0:2 verloren und sind ausgeschieden, aber es war trotzdem ein tolles Erlebnis.“
Bei Bayer wurde Rüth fest als Innenverteidiger eingesetzt. Seine Vorbilder hießen Sergio Ramos und Jérôme Boateng. „Ramos wegen seiner Mentalität und Spielweise, Boateng wegen seiner Leistungen bei der WM 2014.“
Mit den Bayer-Profis zum DFB-Pokalfinale
In seinem letzten Junioren-Jahr durfte Rüth dann noch mal international spielen. In der Youth League traf die Leverkusener U19 auf Juventus, Atlético Madrid und Lokomotive Moskau. „Als ich noch in Deutz oder Hennef gespielt habe, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mal auf solche Gegner treffen würde. Von daher waren das schon ganz besondere Spiele“, sagt Rüth. Vor allem das erste Gruppenspiel gegen Moskau hat er in Erinnerung. Beim 2:2 im Leverkusener Ulrich-Haberland-Stadion traf Rüth per Elfmeter zur 1:0-Führung.
Die guten Leistungen bei den Junioren blieben auch den Verantwortlichen von Bayers Profiteam nicht verborgen. Schon als U17-Spieler durfte Rüth unter Heiko Herrlich ins Training des Bundesligateams hineinschnuppern. In der U19 war er dann auch unter dem neuen Bayer-Coach Peter Bosz immer mal wieder Trainingsgast. Gegen Ende der vergangenen Saison gehörte Rüth dann sogar fest zum Trainingskader, der aufgrund der Corona-Maßnahmen ausgeweitet worden war. „Es war toll, sich regelmäßig mit solchen Topspielern zu messen und ich wurde vom Team auch gut aufgenommen. Vor allem Nadiem Amiri hat sich sehr um mich gekümmert.“
Für einen Profieinsatz reichte es angesichts der starken Konkurrenz mit Innenverteidigern wie Jonathan Tah, Sven Bender oder Edmond Tapsoba nicht. Doch ein weiteres besonderes Erlebnis hat Rüth aus diesen Wochen bei den Profis mitgenommen. Mit dem Bayer-Tross flog er zum DFB-Pokalfinale 2020 nach Berlin. „Das waren unglaubliche Momente. Allein schon mit den Profis anzureisen, dann den Bayern rund um das Spiel zu begegnen und das Finale zu verfolgen.“ Zwar musste Rüth eine 2:4-Niederlage seiner Leverkusener gegen den FC Bayern München mitansehen, doch der Ausflug nach Berlin machte ihm Appetit auf mehr.
Ekene half beim Eingewöhnen
Diesen Appetit wollte er fortan in Hoffenheim stillen. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit der TSG hatte sich Rüth auch bei seinen Leverkusener Kollegen mit Kraichgauer Vergangenheit Rat geholt. „Kerem Demirbay, Nadiem Amiri und Kevin Volland haben mir alle gesagt, dass ich bei der TSG sehr gut aufgehoben bin.“
Also entschied sich Rüth für einen Wechsel nach Hoffenheim und verließ nach 19 Jahren erstmals die Kölner Heimat und seine Familie. „Am Anfang war das Heimweh schon noch groß, weil ich ein Familienmensch bin und es eine Riesenumstellung von Köln auf Nußloch war.“ Aus seinem neuen Team kannte Rüth bereits Chinedu Ekene, der ebenfalls eine Leverkusener Vergangenheit hat und mit dessen Bruder er bei Bayer zusammengespielt hatte. „Der Kontakt mit Chine hat mir natürlich geholfen, aber ich habe mich schnell auch mit allen anderen Jungs gut verstanden.“
Mit Ekene aber auch mit anderen Teamkollegen wie Amid Khan Agha, Alfons Amade oder Deji Beyreuther unternimmt Rüth auch in seiner Freizeit viel. Außerdem bekam er, so oft es geht und Corona es zuließ, Besuch von seiner Familie, seiner Freundin oder seinen Freunden. So wurde das Heimweh immer weniger und der Neu-Kraichgauer fühlte sich mehr und mehr angekommen.
Neue Rolle im Mittelfeld
Auch sportlich hat sich der ballsichere Linksfuß mittlerweile bei „Hoffe zwo“ etabliert. Die ersten sechs Partien der Saison verfolgte der Neuzugang aus Leverkusen jedoch noch von der Bank oder Tribüne aus. „Das war für mich schon ziemlich enttäuschend, weil ich eigentlich eine gute Vorbereitung absolviert hatte“, sagt Rüth. Vor allem, nachdem Kai Herdling als Cheftrainer das Ruder übernommen hatte, kam er jedoch zu mehr Spielzeit. Zunächst noch wie gewohnt als Innenverteidiger, doch Ende Februar hatte Herdling eine Idee.
„Der Trainer kam vor dem Spiel gegen Offenbach auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, auf der Sechs zu spielen. Das konnte ich und es lief dann auch gleich richtig gut.“ Seitdem hat Rüth eine neue Position, die er zuvor nur ein einziges Mal belegt hatte. „In der U15 beim Nike Cup in Berlin. Lustigerweise gegen Hoffenheim“, erinnert sich Rüth. Die neue Rolle im zentralen Mittelfeld gefällt dem 19-Jährigen: „Ich habe mich von der ersten Sekunde an auf der Sechs wohlgefühlt. Dort bin ich viel mehr ins Spiel eingebunden.“
Besondere Spezialität: Freistöße
Eine für einen gelernten Innenverteidiger eher ungewöhnlich Spezialität beherrscht Rüth auch noch: Er schießt mitunter Ecken und sogar Freistöße aus aussichtsreichen Lagen. „Beim Spiel in Großaspach habe ich mir bei einem Freistoß einfach mal den Ball genommen und gesagt, den schieße ich jetzt. Der Ball wäre dann fast reingegangen. Seitdem probiere ich es ab und zu.“
Mit dem Saisonverlauf von „Hoffe zwo“ ist Rüth genauso unzufrieden wie jeder im Team. „Unsere Leistungen waren aber nicht immer so schlecht. Wenn es danach ginge, müssten wir auf einem ganz anderen Tabellenplatz stehen. Aber wir haben einfach auch die ganze Saison schon kein Glück.“ Doch der umgeschulte Mittelfeldspieler ist sich sicher, dass seine Mannschaft noch rechtzeitig unten rauskommt. „Wir spielen guten Fußball und die Verbindung zwischen Mannschaft und Trainer stimmt. Das macht mich optimistisch“, sagt Rüth, der sich für die verbleibenden acht Saisonspiele auch noch sein erstes Regionalligator für „Hoffe zwo“ vorgenommen hat. Vielleicht ja das entscheidende für den Klassenerhalt, vielleicht ja per Freistoß. Für die anschließende Kabinenfeier hätte der (fußball)verrückte Rüth sicherlich schon die passende Musik parat.
DIE "HOFFE ZWO"-SERIE
1 | Streifzug durch Zahlen und Fakten
2 | Fisnik Asllani auf den Spuren seines Co-Trainers
3 | Als "Schippo" den Fünferpack schnürte
4 | Kingsley Schindler im Interview
5 | Die Trainer - von Dickgießer bis Herdling
8 | Rückblick mit Tobias Strobl
9 | Emilian Lässig und ein halbes Leben TSG
10 | Zeitreise mit Roland Dickgießer
11 | Fesser, Schorr - und die beste Zeit
12 | Als der Bruchweg überrollt wurde
13 | Alfons Amade, der Pionier
14 | Maxim, der Edelfan
15 | Die Oberliga-Jahre
16 | Die Meister-Saison
17 | Schaufenster und Sprungbrett
18 | Dominik Kaisers ungewöhnlicher Weg
19 | Als es im U23-Duell sieben Mal klingelte
20 | Meris Skenderović, der Stehauf-Typ
21 | Rückschau mit den Heinleins
22 | Das Wohnzimmer