Nešo und Luka Ðurić – wie der Vater so der Sohn
„Papa ist bei jedem Spiel dabei“, sagt Luka, und es klingt nicht so, als würde ihn das nerven. Papa, das ist Nebojša, oder einfach nur Nešo, Ðurić. Der 51-Jährige ist eine Institution bei der TSG, für die er im zarten Alter von 38 Jahren sogar noch ein Regionalliga-Spiel bestritt, doch dazu später mehr.
Von den Breitensport- über die Kinderperspektivteams sowie ab der U12 in der Akademie hat Luka alle Mannschaften der TSG durchlaufen und sich mittlerweile auf der Zehn oder der linken Außenbahn festgespielt. „In der Vorbereitung war ich verletzt, aber jetzt läuft es richtig gut.“ Beim 3:2-Auftaktsieg gegen den VfB Stuttgart kam der 14-Jährige noch nicht zum Einsatz, erzielte dann aber eine Woche später den 1:0-Siegtreffer gegen den KSC und traf vier weitere Male. „Die Mitspieler um mich herum werden jedes Jahr besser“, weiß Luka, dass er natürlich auch von der Qualität seiner Teamkollegen profitiert.
Luka eifert wie viele Jungs in seinem Alter Cristiano Ronaldo nach und hält es daher auch mit Real Madrid. Doch auch Hoffenheimer, die wie er in der U15 spielten und sich bis zu den Profis hochgearbeitet haben, wie etwa Niklas Süle oder Philipp Ochs, dienen ihm als Vorbild. „Von meinem Vater habe ich mir einiges abgeschaut, seine Technik, seinen Schuss. Er ist sehr streng mit mir und erzählt immer wieder, dass er viel aggressiver gespielt hat als ich.“
Nešo Ðurić nickt, als wolle er sagen: „Mein Junge ist noch lange nicht am Ziel.“ Aber das weiß er selbst. Derzeit besucht Luka das Wilhelmi-Gymnasium in Sinsheim. „Ich will mich weiterentwickeln und in der Schule gute Noten schreiben“, sagt er pflichtbewusst. Ziele mag er nicht hinausposaunen, aber Fakt ist, dass es gegenwärtig gut aussieht. Für die U15, die mit voller Punktzahl die Regionalliga Süd anführt, und für Luka Ðurić, der mit fünf Treffern auf Platz vier der Torjägertabelle steht.
Bosnienkrieg beendet Profi-Karriere
Als Nebojša „Nešo“ Ðurić am 12. Juli 1966 im zentralbosnischen Jajce geboren wurde, war Bosnien und Herzegowina eine von sechs Teilrepubliken Jugoslawiens. Nešo Ðurić lernte bei „Elektrobosna“ das Fußballspielen. Als technisch beschlagener Mittelfeldspieler machte er sich bald über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen und wechselte 1990 zum jugoslawischen Zweitligisten Iskra Bugojno, der ihm einen Profi-Vertrag für vier Jahre angeboten hatte.
Im damals sozialistischen, aber blockfreien Staat ließ es sich auch als Zweitliga-Profi gut leben. „Uns ging es nicht schlecht“ bestätigt Nešo Ðurić, der sich gerne an Freundschaftsspiele gegen Lokomotive Moskau oder Pflichtspiele gegen den mazedonischen Top-Klub Vardar Skopje erinnert. Doch am politischen Himmel zogen dunkle Wolken heran, in der Bevölkerung wurde es unruhig. Die Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Ethnien nahmen trotz gemeinsamer Sprache zu und arteten in Aggressionen aus.
„Die Provokationen wurden immer größer“, sagt Nešo Ðurić. „Manchmal kam es vor, dass ich auf dem Weg zum Training aufgehalten wurde, weil sich mir einfach ein Wagen in den Weg gestellt hat.“ Ðurić selbst hat serbische Wurzeln, lebte aber bis dato friedlich mit Kroaten und Muslimen zusammen. Doch die Lage spitzte sich zu. Sinnbildlich für das sich anbahnende Auseinanderbrechen Jugoslawiens steht der 13. Mai 1990. Im Maksimir-Stadion von Zagreb stand das Spitzenspiel zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad an. Kroaten hier, Serben da. Die verhassten Fangruppen lieferten sich vor der Partie, die nie angepfiffen wurde, gewalttätige Auseinandersetzungen. Zum „Helden“ des kroatischen Publikums avancierte Dinamo-Spieler Zvonimir Boban, späterer Superstar von AC Mailand, der einem Polizisten einen Kung-Fu-Tritt versetzte. Die Polizei, die vergeblich versuchte, die Menge zu bändigen, setzte sich in Jugoslawien hauptsächlich aus der serbischen Bevölkerung zusammen. Das Bild des in den Polizisten hineinspringenden Kroaten Boban ging um die Welt und gilt als das Symbol des Beginns der Jugoslawienkriege, die de facto erst ein Jahr später nach den Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens einsetzten. Ironie der Geschichte: Der getretene Polizist war Kroate.
25 Jahre TSG
„Das ist alles nur schwer zu verstehen“, blickt Ðurić ungläubig auf diese Zeit zurück. „Das war Politik. Die Leute konnten nichts dafür. Wir haben lange friedlich miteinander gelebt, ich kann doch nicht auf Befehl jemanden hassen.“ Die Lage spitzte sich jedoch auch in Bosnien zu, ein Jahr nach dem „Kroatienkrieg“ kam es ab 1992 zusätzlich zum „Bosnienkrieg“, der bis Ende 1995 rund 100.000 Todesopfer forderte. „Wir hatten schon lange kein Geld mehr bekommen und unsere Situation wurde immer bedrohlicher“, sagt Ðurić, der durch den Krieg einige Freunde und Familienangehörige verlor. Er flüchtete ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland und landete in Sinsheim, wo seine Schwester mit ihrem Mann lebte. Der Traum der Profi-Karriere war zerstört, ein neues Leben sollte beginnen.
Wenige Monate zuvor war ein Wechsel zum Spitzenklub Željezničar Sarajevo, wohin ihn sein Trainer Blagoje Bratić mitnehmen wollte, kurzfristig geplatzt. Die „Eisenbahner“ hatten nach dem sensationellen UEFA-Pokal-Halbfinaleinzug 1985 ihre Leistungsträger verloren und befanden sich im Neuaufbau. Für Ðurić hieß es nun aber Sinsheim statt Sarajevo, Verbandsliga statt Europapokal. Er trainierte zunächst beim SV Sinsheim, dessen Trainer ihn nach wenigen Wochen dem Oberligisten VfB Leimen empfahl.
Ðurić machte sich auch im Rhein-Neckar-Kreis schnell einen Namen. Slobodan „Bobby“ Jovanić, Trainer des SV Sandhausen, wollte ihn an den Hardtwald holen – seine Entlassung machte diesen Plan aber zunichte. „Ich habe nebenbei auf Baustellen gearbeitet, um mein Leben zu finanzieren. Aber das hat meinen Körper ausgezehrt, zu Top-Leistungen war ich nicht mehr fähig“, sagt Ðurić, der bald seine Frau Mirjana nach Deutschland holte. Und dann lernte er Peter Hofmann kennen. Der TSG-Präsident lotste den Kriegsflüchtling 1992 in die Silbergasse, wo er noch mit 33 für die erste Mannschaft spielte und später fünf weitere Jahre in der zweiten dranhängte. Ðurić war dabei, als die TSG in den Aufstiegsspielen zur Oberliga im Elfmeterschießen am SV Linx scheiterte und ein Jahr später als Meister doch aufstieg. Mit „Hoffe zwo“ schaffte er – nachdem das Team zunächst ebenfalls am SV Linx gescheitert war – ebenfalls den Sprung in die Oberliga, ehe er 2004 seine aktive Laufbahn beendete.
Regionalliga-Einsatz unter Hansi Flick
Zuvor aber „schenkte“ ihm der heutige Geschäftsführer Hansi Flick, damals Trainer der Profis, noch einen Regionalliga-Einsatz. Am vorletzten Spieltag der Saison 2002/03 traf die TSG zu Hause auf den 1.FC Saarbrücken, für beide Teams ging es um nichts mehr. Ðurić spielte als Innenverteidiger 90 Minuten durch, konnte aber das 0:1 durch den heutigen TSG-Manager Alexander Rosen nicht verhindern. Denis Bindnagel, heute ebenfalls bei der TSG in der Administration und als U13-Co-Trainer tätig, traf zwei Mal zum 2:1, am Ende hieß es 2:2. „Es war eine schöne Geste, dass Hansi Flick mich gebracht hat.“ Die TSG war für Ðurić längst zur zweiten Heimat geworden. 1997 hätte er eigentlich wieder ausreisen müssen, doch die TSG beschäftigte ihn als Trainer. Ðurić durfte bleiben. „Dafür bin ich Dietmar Hopp sehr dankbar. Der Krieg war zwar vorbei, aber aus meiner Heimatstadt waren alle Serben vertrieben worden.“
Ðurić machte den C-Schein, war unter anderem Co-Trainer bei Roland Dickgießer und später unter Markus Gisdol in der U23, seit 1999 und bis heute arbeitet er zudem als Greenkeeper im Dietmar-Hopp-Stadion. An Spieltagen der U23 und der U19 sind er und sein Mitarbeiter Markus Brecht die ersten die kommen und die letzten die gehen. Aktuell trainiert Ðurić den A-Ligisten SV Daisbach, für den er mit 49 in der B-Klasse nochmal ein kurzes Comeback als Spieler gab.
Wehmut? „Klar habe ich das Gefühl, dass ich mehr hätte erreichen können. Aber die Dinge sind nun mal anders gelaufen“, sagt der 51-Jährige, der technisch beschlagen war und ein gutes Auge hatte. „An der Geschwindigkeit hat es mir etwas gefehlt“, gibt er allerdings zu. Das Leben hat ihn auf andere Weise beschenkt. Mit Mirjana hat er zwei Töchter, Sara (21) und Jana (17), und eben einen Sohn, Luka (14). „Der Junge ist sehr talentiert, er liebt Fußball und trainiert hart. Die Schule ist mir aber wichtiger“, beteuert Ðurić, dem es missfällt, dass schon bei der U15 Spielerberater auf der Lauer liegen. „Ich hatte nie einen Berater. Mit Peter Hofmann haben wir uns per Handschlag geeinigt.“ Die Zeiten haben sich geändert.
Bundesliga-Aufstieg schönster Moment
In dieser Saison feiert Ðurić ein besonderes Jubiläum: Seit sage und schreibe 25 Jahren ist er Teil der TSG. Die Frage nach dem schönsten Moment beantwortet er ohne Nachzudenken. „Der Bundesliga-Aufstieg!“ Es fällt ihm aber noch ein Zweiter ein: Der Aufstieg mit der zweiten Mannschaft in die Oberliga. „Hoffe zwo“ wurde damals Zweiter in der Verbandsliga und setzte sich in der Relegation erst klar gegen den FC Emmendingen und anschließend gegen den Heidenheimer SB (heute 1.FC Heidenheim) durch, dessen heutiger Trainer Frank Schmidt damals noch Spieler war. Ðurić gelang dabei das entscheidende Freistoßtor.
Luka ist Jahrgang 2003. Im selben Jahr hat die Familie ein Haus in Hoffenheim bezogen, zuvor lebte sie hier in einer kleinen Wohnung. Die bewegende Geschichte seines Vaters kennt er, aber wer wie er den Bosnienkrieg nicht persönlich erlebt hat, kann die Dinge nur erahnen. Luka versteht serbokroatisch, spricht die Sprache aber nicht. Er ist in Sinsheim geboren, fühlt sich als Deutscher und drückt bei großen Turnieren der DFB-Elf die Daumen. Sein Vater auch.