Gewalt gegen Frauen – Deutschland muss mehr tun
Düsseldorf, 19. November, 81-jährige Frau, vom Ehemann (89) erstochen; Wuppertal, 18. November, 61-jährige Frau, vom Ehemann mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt; Hamburg, 14. November, 36-jährige Frau, mutmaßlich vom Ehemann „durch äußere Gewalteinwirkungen“ umgebracht. Cloppenburg, 11. November, Frau, mutmaßlich vom Ehemann getötet; Hannover, 7. November, 21-jährige Frau vom Ex-Freund getötet.
Dies ist nur ein kleiner, nicht vollständiger Auszug aus nicht einmal zwei Wochen im Herbst 2023, der das erschreckende Ausmaß von Femiziden deutlich macht. „Unter Femizid versteht man im Allgemeinen die vorsätzliche Ermordung von Frauen, weil sie Frauen sind, doch umfassen weiter gefasste Definitionen alle Tötungen von Frauen oder Mädchen“, lautet die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO). „Bei Femiziden geht es weder um Milieu, Religion, Beziehung, Krankheit, Kultur, Familie, Kleidung, Verzweiflung, Bildung, Ehre oder gar Liebe“, erklärt Prof. Dr. Kristina Wolff, „bei Femiziden geht es immer nur um Macht und Kontrolle“. Ihre Dokumentation für 2023 umfasst bisher 170 Mädchen und Frauen, wobei es sich nur öffentlich bekannte Tötungsfälle handelt.
Auch im Sport waren wiederholt Vorfälle von Gewalt gegen die Partnerinnen von Fußball-, Rad- oder Tennis-Profis publik geworden. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und keineswegs eine Randerscheinung. „Jeden Tag werden Frauen verletzt, traumatisiert oder sogar getötet – weil sie sich dem männlichen Anspruch auf Macht und Kontrolle, beispielsweise in Form von Besitzanspruch, entgegenstellen. Auch in unserem Land ist das Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt erschütternd.“ Diese Aussage stammt von Bundesjustizminister Marco Buschmann. Allerdings geschieht viel zu wenig dagegen.
„Das Narrativ, dass es Femizide nur in anderen Ländern gibt, stimmt einfach nicht. Andere EU-Länder, insbesondere Spanien und Frankreich, sind viel weiter beim Vorgehen gegen die schreckliche Gewalt gegen Frauen. Dort wird auch mehr getan, damit das Gewalt-Problem in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt“, sagt Prof. Dr. Kristina Wolff. Die so genannte Istanbul-Konvention („Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“) ist seit Februar 2018 auch für Deutschland rechtsbindend. Über den Bundeshaushalt werden jedoch keine finanziellen Mittel zur Umsetzung des europäischen Gewaltschutzgesetzes bereitgestellt, bemängelt die Wissenschaftlerin. Es müsse um Prävention gehen, um Aufklärungsangebote für junge und ältere Männer, um unabhängige Forschung, um Anti-Gewalt-Trainings sowie eine neue, gesamtgesellschaftliche Haltung zur Ächtung von Gewalt gegen Frauen. Stattdessen würde die Bevölkerung im Ungewissen gelassen, „denn Daten gibt es, aber sie werden nicht explizit dargestellt“.
So bezieht sich die jährliche Pressekonferenz zur Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) ausschließlich auf „Partnerschaftsgewalt“, womit sämtliche Femizide, die von Vätern, Söhnen, Enkeln, Brüdern, Schwagern, Cousins, Nachbarn und/oder Stalkern verübt wurden, völlig unerwähnt bleiben. Deshalb nimmt ein Report der Vereinten Nationen (UN) über die Zunahme von Gewalt gegen ältere Menschen in diesem Jahr Bezug auf eine von Prof. Dr. Kristina Wolff für ihr „Femicide Observation Center Germany (FOCG)“ zusammengestellte Analyse und Statistik, weil verlässliche Zahlen zu Femiziden in dieser Form von keiner staatlichen Instanz erhoben werden. „Es ist wichtig, die Gewalt gegen Frauen zu erforschen, mit Datenanalysen zu untermauern und sie immer wieder zu thematisieren“, sagt Kristina Wolff, „aber noch mehr wünsche ich mir, dass Deutschland die Selbstverpflichtung der Rechtsstaatlichkeit erfüllt und die Istanbul-Konvention endlich umsetzt“.