Baumann: "Das hat mich sehr bewegt"
Oliver, zuletzt ist ein Videoclip entstanden unter dem Titel „Never give up“, mit einem kleinen Jungen und Dir, der den Wunschtraum von Kindern zeigt, Profi zu werden, an etwas zu glauben, Träume zu verwirklichen. Kannst Du Dich an Deinen Beginn im Tor erinnern?
"Das war weniger romantisch. Mein Bruder Sebastian, der zwei Jahre älter ist, hat mich damals einfach zwischen die Pfosten gestellt, damit er auf das Tor bolzen konnte."
Und Dir hat es offenbar gefallen.
"Ich habe auch als Feldspieler angefangen, aber ich fand es schon als Kind toll, rumzuspringen und zu -fliegen. Ich erinnere mich an eine Übung in der Jugend: Schießen, dann ins Tor, raus aus dem Tor, hinten wieder anstellen. Und beim Hinten-wieder-Anstellen bin ich durch die Gegend geflogen. Komplett durchgeknallt irgendwie. Ich fand es halt megacool."
Es war die richtige Entscheidung. Heute ist Torwart Dein Beruf.
"Ja, aber ich habe ja nicht angefangen als 8-Jähriger, um Profi zu werden, oder um später damit mein Geld zu verdienen. Sondern, weil es mir einfach wahnsinnig Spaß gemacht hat, weil ich Bock auf Fußball hatte."
Und Torhüter am besten zu Deiner Persönlichkeit passt?
"Da muss man sehr speziell sein. Torwart zu sein ist ja quasi eine eigene Sportart. Du bist ein Sonderling. Man hat andere Trainingsinhalte, absolviert andere Übungen, abseits der großen Gruppe – und versucht das zu verhindern, für das alle ins Stadion kommen: Tore. Du bist halt immer der Spielverderber."
Diese Rolle muss man mögen.
"Das merke ich im Alltag ja auch: Das Auto muss noch was Eigenes haben, ganz selten esse ich im Restaurant einfach genau das so, wie es auf der Karte steht. Ich bin wohl tatsächlich eigen." (lacht)
"Ich habe eine Verantwortung"
Heute bist Du Bundesliga-Torwart mit 286 Spielen und bist Vorbild.
"Vorbild ist ein großes Wort. Aber ich habe eine Verantwortung. Ich habe einfach gemerkt, wie schnell und relativ einfach ich in meiner Position Menschen erreiche oder glücklich machen kann. Manchmal gibst du etwa Kindern nur ein High Five und sie freuen sich total. Und du denkst dir: Das war jetzt aber leicht. Wir haben diesen Status ja nur, weil die Leute den Fußball so geil finden. Nur durch die Fans und die allgemeine Aufmerksamkeit verdienen wir letztlich auch unser Geld. Ohne Zuschauer, ohne Fans würde es diesen Hype nicht geben, und es würde das Gehalt nicht geben. Da hast Du auch einfach eine Verantwortung, etwas zurückzugeben."
Heißt das auch, Nähe zuzulassen?
"Das muss jeder für sich herausfinden. Was man ja merkt, ist, dass man wahnsinnig viele Leute erreicht, eine enorme Reichweite hat. Viele geben dann ja die Nähe über Instagram und Co. zurück. Das mag ich bei mir persönlich nicht. Meine Social-Media-Aktivität ist mau. Privat bleibt privat und Fußball bleibt Fußball. Das will ich getrennt halten. Es gibt ja Jungs in der Fußball-Welt, die alles fotografieren."
"Jeder soll sein Leben leben, wie er es will"
Stichwort Goldenes Steak.
"Jeder soll sein Leben leben, wie er es will. Diesen Grundsatz finde ich wichtig und deshalb bewerte ich auch andere nicht. Man muss wissen, wie man sich selbst darstellen will. Wenn man so etwas möchte und seinen Fans so seine Nahbarkeit ausdrücken will, dann ist das so. Wenn du auf den Knopf drückst, ist es in der Welt, jeder sieht es und du kriegst es nicht mehr weg. Das ist dann oft ein schmaler Grat. Im Fußball geht es oft ums Image. Es ist halt manchmal eine nicht ganz reale Welt, eine künstliche, in der viele ihre Rolle spielen oder spielen sollen."
Fühlst Du Dich als Teil dieser Blase?
"Natürlich gehöre ich als Fußballer dazu, aber als Mensch fühle ich mich da überhaupt nicht zugehörig. Ich glaube, dass ich mit Christian Streich in Freiburg einfach einen guten Lehrmeister hatte. Neben meinen Eltern war er derjenige, der mich erzogen hat. Ich bin ja in der D-Jugend nach Freiburg gezogen. Da war er dann die prägende Figur. Er hat viel Wert auf Disziplin gelegt, auf Bodenständigkeit, Respekt. Ohne Christian Streich wäre ich nicht so, wie ich heute bin. Ganz sicher auch nicht so nahbar, dafür bin ich ihm sehr dankbar. Er bringt dir bei, das Leben in Gänze zu sehen, aber eben auch, dass es einer großen Portion Disziplin bedarf."
Wie drückt sich das im Alltag aus?
"Ich habe sehr gerne Wintersport betrieben, aber mit 13 oder 14 Jahren habe ich dann von einem Tag auf den anderen aufgehört, Snowboard zu fahren, weil der Trainer gesagt hat, dass es wegen der Verletzungsgefahr nicht optimal wäre. Ich untersage es mir einfach. Das hat auch was mit Verantwortung zu tun, dem Verein gegenüber, der heute mein Arbeitgeber ist. Wenn ich mich nicht zu 100 Prozent vorbereite, ist es nicht richtig dem Verein gegenüber, der Mannschaft. Ich esse auch mal einen Burger, aber eben nicht mehrfach nacheinander." (lacht)
Aber es klingt jetzt nicht so, als würdest Du diesen Teil vermissen, wenn eines fernen Tages die Karriere beendet ist.
"Ich würde schon manches vermissen, den Sport als solchen, den Wettbewerb, die eigenen Fans. Ich habe es mein ganzes Leben gemacht und bin es einfach gewohnt. Wenn wir Sommerurlaub haben und ich mache in der ersten Woche nichts, gehe ich meiner Frau sofort auf die Nerven. Aber bei manchen Dingen wäre ich sicher nicht traurig."
Zum Beispiel?
"Ich mag es, wenn ich relativ unerkannt durch die Stadt laufen kann, nicht jeder immer und überall eine Meinung zu dir hat, sie dir sagt oder sie zum Beispiel anonym über Social Media verbreitet. Diese Form des öffentlichen Lebens wird mir nicht fehlen."
Das gehört wohl zu den Dingen, die dazugehören.
"Alles hat seinen Preis, auch der Profi-Fußball. Neben den ganzen großartigen Seiten gibt es auch weniger angenehme Seiten. Es ist immer der Spagat, immer eine Frage der Prioritäten. Ich habe dazu mal ein sehr interessantes Buch gelesen: ‚Das Café am Rande der Welt.‘ Da geht es letztlich darum, den Zweck deiner eigenen Existenz herauszufinden. Darum, sich selbst zu fragen: 'Warum bist du hier? Wonach strebst du? Wofür lebst du?'"
Engagement in der Kinderkrebsklinik in Heidelberg
Eine Deiner Antworten ist, Dich karitativ zu betätigen, so wie Du es tust mit Deinem Engagement für die Kinderkrebsklinik in Heidelberg.
"Jeder Mensch, auch jeder Fußball-Profi muss ja für sich selbst entscheiden, wie er damit umgehen will. Da will ich niemandem etwas vorschreiben. Für mich geht es darum, die Menschen auf etwas aufmerksam zu machen. Und wenn ich dabei helfen kann, zum einen die Aufmerksamkeit auf so etwas zu lenken und zum anderen selbst noch Freude verschenken kann, dann mache ich das sehr gerne. Leuten etwas Gutes zu tun, gibt mir viel zurück. Mir ist ein ehrliches Dankeschön sehr viel wert, mehr als vieles andere. Wir wollten nicht einfach Geld spenden und dann nach uns die Sintflut. Wir wollten da persönlicher sein, nahbar."
Warum engagierst Du Dich gemeinsam mit Deiner Frau Charlotte explizit im Kampf gegen den Krebs?
"Es gibt da mehrere Anknüpfungspunkte. In Freiburg gab es einen jungen Fan, Kilian, der an Krebs erkrankt war. Die Eltern kamen ab und zu mit ihm zum Training, zu den Spielen, fragten nach einem Foto oder auch mal nach Handschuhen. Wir haben ihn dann immer wieder mal gesehen, eine gewisse Zeit begleitet, sein Leben, sein Leiden verfolgt. Das hat Charlotte und mich sehr bewegt."
Es ist schon ein sehr persönlicher Zugang…
"Das ganze Thema Krebs hat einen familiären Hintergrund. Ich habe meinen Vater 2012 durch die Krankheit verloren. Er ist nur 62 Jahre alt geworden. Es war eine intensive Zeit. Ich habe mit Freiburg noch die Saison normal gespielt, dann hatten Charlotte und ich Urlaub gebucht. Unsere erste USA-Reise. Und mein Vater sagte: ‚Ja, fahrt dahin.‘ Aber wir merkten, dass es vielleicht zu spät sein könnte, wenn wir planmäßig wiederkämen. Wir haben die Reise für Anfang Juni dann abgesagt. Er hatte am 1. Juni Geburtstag, ich einen Tag später – und am 4. Juni ist er dann von uns gegangen. Das war heftig. Es ging dann sofort wieder ins Trainingslager und weiter. Aber das richtige Tief kam dann später, weil das niemand einfach so wegstecken kann."
Und das hat Euch dann bewogen, in diesem Bereich etwas zu tun?
"Wir haben einfach mit etwas Abstand festgestellt: Wir wollen auf jeden Fall etwas machen, auch für die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, auch für die Angehörigen der kranken Menschen. Weil wir selbst miterlebt haben, wie schwer das ist. Die sind ja alle auf einem Weg des Kampfes. Die, die krank sind, kämpfen um ihr Leben. Die anderen kämpfen um Normalität, Eltern oft genug um Zeit oder Geld. Wenn man wie ich aufgrund der Möglichkeiten, aufgrund des Status, den mir der Fußball gibt, in der Lage ist, den Menschen auf diesen Weg ab und zu Freude zu schenken, dann gehört das für mich zu einer Verantwortung, die ich übernehme. Und was da zurückkommt, das ist so unheimlich ehrlich."