Das Gespräch begann dann doch schneller als erwartet. Gift Orban fragt kurz vor dem vereinbarten Termin nach, ob man auch zehn Minuten früher beginnen könne. Der 22-Jährige kommt frisch vom Training, hat noch eine Lunchbox für später dabei. Hungrig ist er aber vor allem auf Tore – und die hat der Nigerianer bei sämtlichen Stationen seiner Laufbahn erzielt. Manchmal sogar schneller als erwartet.

2022 hatte er seine nigerianische Heimat verlassen und schloss sich dem norwegischen Zweitligisten Stabaek Fotball an – ein ungewöhnlicher erster Schritt nach Europa. „In Nigeria habe ich in einer Akademie gespielt, da kamen ständig Scouts und Verantwortliche von Vereinen“, erinnert Orban. „Ich wurde dann von Stabaek zum Probetraining eingeladen, hatte aber ein paar Wochen Zeit, mich vorzubereiten. Ich habe hart trainiert und die Verantwortlichen dann überzeugt.“

Der Schritt nach Europa, den sich viele afrikanische Talente wünschen, war gemacht. Einfach war er aber nicht. „In Norwegen ist es sehr kalt, das ist man als Nigerianer nicht gewöhnt. Zudem war ich zum ersten Mal in Europa, es waren keine einfachen Umstände“, sagt Orban energisch. Aufgeben war aber keine Option. „Ich wollte nicht hinschmeißen, nur weil es kalt war. Ich hatte meinen Grund, nach Europa zu kommen und wollte für meinen Traum kämpfen.“ Das gelang Orban, der am achten Spieltag für Stabaek debütierte: 16 Treffer und sieben Vorlagen in 22 Einsätzen sicherten seinem Team nicht nur den Aufstieg in die erste Liga, sondern dem Nigerianer auch den Titel des Torschützenkönigs sowie die Trophäe für den besten jungen Spieler der Liga. Der Angreifer brauchte keine große Anlaufzeit auf dem neuen Kontinent, auf dem ihm das Gefühl beschlich, mehr tun zu müssen. „Ich bin Afrikaner und ich bin schwarz. In meiner Wahrnehmung musste ich in Norwegen mehr machen als die weißen Spieler, um mich durchzusetzen. Aber ich habe gearbeitet, härter als alle anderen, und so dem Team geholfen“, sagt Orban rückblickend und wirkt dabei gleichermaßen nachdenklich wie entschlossen.

Dieser schnelle Aufstieg war in Kindheitstagen bestenfalls ein kleiner Hintergedanke. Orban, der „aus keinen einfachen familiären Verhältnissen“ stammt, wollte zunächst einfach nur spielen. „Ich habe Fußball früh geliebt und hatte nichts anderes im Kopf“, sagt der Nigerianer, dessen Mutter in Togo lebt, während er hauptsächlich bei seinem Vater in Nigeria aufwuchs. Er spricht nicht viel über seine Kindheit, die Sätze sind kurz. Seine Mutter, die er regelmäßig in Togo besucht, gab ihm den Namen „Gift“, was übersetzt „Geschenk“ bedeutet. „Sie hat mich als Geschenk Gottes empfunden, deshalb erhielt ich diesen Namen. Den Glauben habe ich übernommen, ich ziehe viel Kraft daraus.“ Seine Familie vermisst er in Europa, Orban lebt allein weit weg von seinen Verwandten. „Darüber darf ich aber nicht nachdenken, weil ich hier bin, um Fußball zu spielen und meiner Leidenschaft nachzugehen.“ Nach dem erfolgreichen Jahr in Norwegen folgte der nächste Schritt in der Karriere des Nigerianers. Die KAA Gent verpflichtete Orban im Januar 2023. Auch in Belgien benötigte der Stürmer keine Anlaufzeit und erzielte in der Rückrunde wettbewerbsübergreifend 20 Tore in 22 Spielen. In dieser Zeit sicherte sich Orban auch einen Platz im Geschichtsbuch des europäischen Fußballs: Im Conference-League-Spiel gegen Istanbul Basaksehir traf Gift Orban in drei Minuten und 24 Sekunden dreimal – der schnellste Hattrick in der Geschichte des Europapokals. Orban spielte sich in den Fokus der Top-Klubs, doch er sieht den Rekord pragmatisch: „Ich bin Stürmer. Wenn ich die Möglichkeit habe, zu treffen, tue ich alles dafür, das zu nutzen. Es ist mein Job, ich möchte so viele Tore wie möglich erzielen.“

Die Berichte über den Jungstar häuften sich nach dieser Leistung, denn auch in der Liga war seine Torquote beachtlich. Selbst die UEFA führte Orban in einem offiziellen Bericht über die „Spieler der Zukunft“ auf – in einer Liste mit Lamine Yamal vom FC Barcelona und Chelseas Cole Palmer. Doch als „Top-Talent“ will sich Orban gar nicht definieren. „Viele Leute sagen, ich hätte Talent. Doch wenn man talentiert ist, aber nicht arbeitet, nützt es nichts“, sagt Orban.

Das Talent mag vielleicht seinem übersetzten Vornamen gleichen, aber der Stürmer will sich darauf nicht ausruhen. „Ich arbeite in jedem Training hart und lege Extraschichten ein, oft auch zusammen mit Andrej Kramarić, um Torabschlüsse zu üben, ob nach Flanken, per Kopf oder im Eins-gegen-eins. Meine Wunschverteilung wäre 55 Prozent Arbeit und 45 Prozent Talent. Fleiß ist immer wichtiger.“

Und so hegt Orban auch keinen Groll gegenüber seiner Zeit bei Olympique Lyon, die ihn in dieser Saison während der UEFA Europa League zwar erstmals in die PreZero Arena führte, ansonsten aber unglücklich verlief. Erstmals musste Orban mit Rückschlägen umgehen, in 16 Partien in der Ligue 1 gelangen ihm drei Treffer – allerdings durfte er auch nur in einer Partie über die volle Distanz auf dem Feld stehen. „Ich hatte nicht viele Chancen erhalten, zudem hatte ich auch sehr starke Konkurrenten. Der Trainer hat Alexandre Lacazette auf meiner Position bevorzugt, er ist Kapitän des Teams und eine Vereinslegende. Ich wollte mehr spielen, deshalb bin ich weitergezogen. Die TSG vertraut mir und das ist wichtig.“

Neben dem nun entgegengebrachten Vertrauen legt Orban auch großen Wert auf Ehrlichkeit. „Ich bin sehr direkt, wenn mir etwas nicht gefällt, spreche ich jemanden darauf an. Im Gegenzug soll man aber auch zu mir ehrlich sein. Ich kann es nicht leiden, wenn man hinter dem Rücken von jemandem schlecht redet.“ Durch diese direkte Art sei Orban, ob seiner Tattoos und seines Kleidungsstils im positiven Sinne exzentrisch, auch noch nirgendwo mit Problemen konfrontiert gewesen. Auch auf Social Media zeigt er sich in ausgefallener Kleidung. Eine schwere, silberne Kette ist sein gut sichtbarer und steter Begleiter – auch zum Gesprächstermin hat er sie umgelegt.

Er habe auf all seinen europäischen Stationen nie Schwierigkeiten gehabt, sich anzupassen, sagt Orban – auch wenn es sprachlich gerade in Deutschland eine Herausforderung sei. „Ich möchte in der Kabine mitreden können und die fußballbezogenen Themen verstehen, aber Deutsch ist wirklich eine schwierige Sprache“, sagt der Nigerianer, der neben Englisch und Französisch auch einige regionale Sprachen aus seinem Heimatland beherrscht.

Sein Start bei der TSG verlief verheißungsvoll, in den ersten sieben Einsätzen gelangen ihm vier Treffer. Doch nicht allein seine Tore machen ihn für das Team wertvoll, auch seine Arbeit gegen den Ball. „Er hat gute Schritte gemacht beim Verständnis unserer Spielweise. Das erkennt die Mannschaft an und deshalb hat er sich immer besser integriert“, sagte Christian Ilzer nach den ersten Wochen des Nigerianers im TSG-Trikot. Und auch der Stürmer selbst zeigt sich mit seinem Start „fürs Erste“ zufrieden: „Hoffenheim ist ein guter Klub, aber in einer schwierigen Situation. Mich haben im Winter viele Vereine kontaktiert, aber hier haben mich die Verantwortlichen mit Respekt behandelt und überzeugt. Ich möchte nun noch mehr Tore erzielen und hart dafür arbeiten, dass wir am Ende die Klasse halten.“

Nachdem das Gespräch eigentlich schon beendet und der Nigerianer im Begriff ist, den Raum zu verlassen, fallen die Tattoos auf, besonders die gefalteten Hände mit einem Rosenkranz auf seinem linken Arm. Welches Tattoo gefällt ihm am besten? Er werde es verraten, verspricht er, allerdings erst, wenn das Gesamtkunstwerk auf seiner Haut vollendet sei. Ob er dieses Gespräch dann auf Deutsch führen werde? Orban lacht. Ihm wäre es am liebsten, wenn bis dahin Tore die Antwort auf sämtliche Fragen wären. Denn diese Sprache versteht nun mal jeder.

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