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SPIELFELD
11.10.2024

Kadeřábek: „Ich wollte immer in Hoffenheim bleiben“

Pavel Kadeřábek spielt seine bereits zehnte Saison im Trikot der TSG Hoffenheim. Im SPIELFELD-Interview spricht der Tscheche offen über den unruhigen Sommer, seine Rolle als Übersetzer und die besondere Bedeutung für Neuzugänge, schnell Deutsch zu lernen sowie den Stolz, den Status als Klublegende erreicht zu haben. Zudem blickt der 32-Jährige in seine persönliche Zukunft und gewährt interessante Einblicke in das Innenleben der Mannschaft.

Pavel, Du bist seit fast einer Dekade bei der TSG, aber ein halbes Jahr wie das vergangene hast Du hier wohl nicht erlebt. Wie blickst Du auf die Vorbereitung und den Saisonstart?

„Es ist in dieser Saison sehr schwierig, das wahre Potenzial der Mannschaft einzuschätzen. Wir haben viele neue Spieler dazubekommen, fast alle erst sehr spät. Zudem war es, das ist ja kein Geheimnis, sehr unruhig in der Vorbereitung und nun hat sich auch noch Grischa (Prömel; d. Red.) verletzt. Wir haben versucht, diese Dinge auszublenden, sind im Pokal weitergekommen und haben Kiel geschlagen. In so einer Situation muss man zusammenhalten und so gut es geht mit freiem Kopf spielen. Wenn das gelingt, hat das Drumherum keinen Einfluss auf die Leistung.“

Wie nimmst Du den Umbruch innerhalb der Mannschaft wahr?

„Es war für mich persönlich nicht so einfach, dass in den vergangenen ein, zwei Jahren viele Spieler gegangen sind, mit denen ich so lange zusammengespielt hatte. Es sind Freundschaften entstanden, man hat viel zusammen erlebt und plötzlich sind sie nicht mehr da. Aber so ist der Fußball. Dafür sind neue Jungs gekommen. Es wird sicher ein bisschen dauern, bis alle integriert sind, dafür braucht man einfach auf dem Platz und in der Kabine ein wenig Geduld. Das ist eine große Herausforderung, denn Zeit hat man im Fußball eigentlich nie. Wir müssen alle zusammen ruhig bleiben. Dann bin ich sicher, dass wir besser Fußball spielen werden und bessere Ergebnisse einfahren. Das wollen wir alle.“

Deine persönliche Rolle hat sich ein wenig verändert. Momentan bist Du Spieler, aber auch Übersetzer und lokaler Tourismus-Führer…

(lacht) „Das stimmt. Es ist fast schon ein wenig lustig, dass in der Saison, an deren Ende mein Vertrag ausläuft, plötzlich so viele Tschechen gekommen sind. Neun Jahre lang habe ich zu Alex Rosen gesagt: ‚Hol‘ doch mal einen Landsmann von mir.‘ Das ist nie passiert und nun sind wir zu viert. Ich freue mich, dass sie da sind und ich versuche alles, damit sie sich schnell einleben. Damit das gelingt, muss ich gerade jetzt in der Anfangszeit in der Tat sehr viel übersetzen. Aber das hat neben den Vorteilen durchaus auch negative Aspekte. Zum einen muss ich mich auf dem Platz eigentlich auf die eigene Arbeit konzentrieren. Zum anderen ist es mir manchmal unangenehm gegenüber den anderen Spielern, wenn wir so viel Tschechisch reden, da ich seit neun Jahren hier ja immer nur Deutsch gesprochen habe.“

Es gibt ja im Fußball auch viele Diskussionen um vermeintliche Grüppchenbildungen innerhalb von Mannschaften. Tragen die verschiedenen Sprachen dazu bei?

„Es liegt eher an der Einstellung als an der Sprache. Ich habe immer, als wir viele französischsprachige Spieler hier hatten, im Vorbeigehen gesagt: ‚Deutsch sprechen, bitte!‘. Auch darum fühle ich mich nun unwohl, mit den drei Jungs Tschechisch zu sprechen. Oli Baumann hat es mir zuletzt angemerkt, er kennt mich ja sehr gut. Ich halte es auch im Privatleben so: Wenn ich mit meiner Tochter auf dem Spielplatz bin, rede ich Deutsch mit ihr, damit alle verstehen, was wir sagen und niemand denkt, wir würden lästern oder etwas verheimlichen. Für mich ist gegenseitiger Respekt sehr wichtig, und die Sprache spielt da eine große Rolle. Zudem tut es allen gut, wenn beim Essen nicht immer die gleichen Spieler zusammensitzen. Wenn alle mit allen reden, hat das Vorteile auf dem Platz und für den Erfolg als Mannschaft.“

Versuchst Du Deinen Landsleuten vorzuleben, dass sie schnell Deutsch lernen müssen, um sich bestmöglich zu integrieren und all das auch genießen zu können?

„Natürlich. Aber sie haben es ehrlicherweise auch leichter als ich damals. Als ich zur TSG gekommen bin, haben alle Spieler Deutsch gesprochen. Ich musste die Sprache lernen, um mich zu verständigen. Wenn die Jungs heute etwas nicht verstehen, merke ich sofort, wie sie mich hilfesuchend anschauen. Natürlich bin ich niemand, der dann sagt: ‚Kümmer‘ Dich selbst drum.‘ Es sind super Jungs, an denen die TSG noch viel Freude haben wird – und jetzt haben sie auch noch ein halbes Jahr Welpenschutz. (lacht) Dann sollte es aber so langsam funktionieren. Ich bin da sehr zuversichtlich, sie haben nun eine Sprachlehrerin und werden anfangen, immer mehr zu verstehen.“

Merkst Du, neben der Sprache, dass neun Jahre in Deutschland Dich verändert haben?

„Definitiv, ich habe mittlerweile viele deutsche Eigenschaften. Deutschland hat mir sehr viel gegeben. Ich war schon immer diszipliniert, aber hier habe ich das noch einmal weiterentwickelt. Ich mag es zum Beispiel gar nicht, wenn jemand unpünktlich ist. Das kann zwar immer mal passieren, aber dann muss man auch dafür um Entschuldigung bitten und es beim nächsten Mal besser machen. Da bin ich sehr deutsch, auch wenn es um den Einsatzwillen geht. Ich kann es nicht leiden, wenn jemand alles mit Auge macht und nur das Nötigste tut. Auf dem Platz muss man immer Gas geben.“

Du hast schon angesprochen, dass Dein Vertrag vorerst 2025 endet. Hast Du nach den Transfers mal gedacht, dass die TSG Dir sagen will: ‚Hey Pavel, wir haben Dir nun einige Tschechen geholt, Du brauchst also noch nicht zurück, bleib doch noch hier‘?

„Den Eindruck könnte man bekommen. (lacht) Noch läuft mein Vertrag, danach wird man sehen. Wenn die TSG auf mich zukommt, bin ich natürlich sehr offen. Ich kann mir aber auch vorstellen, nach so langer Zeit im Ausland mit meiner Familie nach Tschechien zurückzukehren. Für einen anderen Verein in Deutschland zu spielen, würde sich ehrlicherweise komisch anfühlen. Für mich ist aber zuerst einmal das Wichtigste, Top-Leistungen zu bringen. Wenn ich eine für mich wichtige Rolle einnehme, kann man auch im Alter von dann 33 Jahren über eine Verlängerung sprechen. Das ist aber bei der TSG eher selten der Fall. Ich habe mal nachgeschaut – Oli Baumann ist der einzige Spieler, der in diesem Alter einen neuen Vertrag bekommen hat. Ich möchte die Saison daher erstmal so genießen, als ob es meine letzte wäre.“

Du bist im April 32 Jahre alt geworden. Spürst Du das Alter mittlerweile?

„Ich merke davon ganz ehrlich gar nichts. Ich fühle mich sogar besser als vor zwei, drei Jahren, als ich häufiger verletzt war. Klar, ich muss mittlerweile etwas mehr für den Körper tun und benötige eventuell mehr Krafttraining und Regeneration. Damit habe ich aber schon vor einiger Zeit begonnen und es hat mir sehr geholfen. Ich fühle mich nicht wie ein 32 Jahre alter Opa. Ich spüre, dass ich dem Team helfen kann. Ich habe immer gesagt: Wenn ich merke, dass im Trainingsspiel niemand mehr mit mir zusammenspielen will, höre ich auf. Aber noch haben mich alle gern in ihrer Mannschaft.“

Bei der TSG trainieren mittlerweile schon mal 16-Jährige mit, Teenager gehören zum Profi-Team. Spürst Du da dennoch manchmal, dass Du zur älteren Generation gehörst?

„Definitiv. Als David (Jurásek; d. Red.) im Januar zu uns gekommen ist, hat er mir eine Nachricht geschrieben und mich gesiezt. Ich dachte erst, er wolle mich veräppeln, aber er meinte das ernst. Da fühlt man sich gleich ein bisschen älter und ich habe ihm erstmal eine Ansage gemacht. (schmunzelt) Generell sieht man an den jungen Spielern die Veränderung im Fußball. Alles ist schneller, die Jungs haben mit 16, 17 schon eine unglaubliche Dynamik. Aber trotzdem kann man sie mit Erfahrung noch schlagen.“ (lacht)

Man hatte lange das Gefühl, dass Du bei der TSG auf Deiner Position keine Konkurrenten hattest. Nun wurde Valentin Gendrey verpflichtet. Wärst Du lieber alternativlos geblieben oder hast Du aufgrund der Dreifachbelastung das Gefühl, dass es gut ist, noch jemanden für die Position zu haben?

„Mir ist schon wichtig, zu betonen, dass dieser Eindruck falsch ist. Ich hatte immer Konkurrenten, Spieler wie Felix Passlack, Jeremy Toljan oder Joshua Brenet. Aber jedem Trainer habe ich bewiesen, ‚Pavel ist stärker, Pavel muss spielen‘ und habe mich durchgesetzt. Dieses Ziel verfolge ich in dieser Spielzeit erneut. Ich will zeigen, dass ich der Beste für meine Position bin.“

Gibt es denn nach all den Jahren noch ein großes Ziel, dass Du mit der TSG erreichen möchtest?

„Das ist gar nicht so einfach, da ich mit dem Verein fast alles erreicht habe, was möglich war. Wir sind Dritter geworden, ich habe Champions League und Europa League gespielt, in beiden Wettbewerben Tore geschossen, dazu mein emotionaler Treffer gegen Dortmund. In der Bundesliga mehr zu erreichen, ist aufgrund der Konkurrenz schwierig. Aber ich würde natürlich unheimlich gern mal im DFB-Pokal deutlich weiterkommen, mal ein Halbfinale oder Finale spielen. Das ist uns allen eine Herzensangelegenheit, dafür brauchen wir auch mal ein bisschen Losglück. Ansonsten sind meine großen Ziele: Gesund bleiben, gut und viel spielen, als Mannschaft zusammenhalten – dann können wir erfolgreich bleiben und auch mal etwas erreichen, womit niemand rechnet.“

Du gehörst zur Führungsachse. Auffällig ist, dass die Spieler, die schon viele Jahre da sind und auch den Mannschaftsrat bilden, eher ruhigere Typen seid…

„Man muss das wirklich hervorheben, dass es bei uns keinen Stinkstiefel gibt. Jeder hilft seinen Mitspielern und tut alles für den Erfolg, niemand zieht sich beleidigt zurück, wenn er mal nicht spielt. Es gibt auch echte Freundschaften in dieser Mannschaft.“

Wie geht man damit um, wenn sich jemand schwer verletzt, wie Grischa zuletzt?

„Als ich die Szene gesehen habe, musste ich ein paar Schritte weggehen. Ich habe es knacken gehört und hatte Tränen in den Augen. Das nimmt einen noch mehr mit, wenn man sich so gut versteht. Aber daran sieht man, was wirklich wichtig ist: Manchmal ärgert man sich über kleine Dinge viel zu sehr oder streitet wegen Kleinigkeiten – ob im Fußball oder im Privatleben. Nach so einer Situation lernt man mal wieder, dass man das Leben genießen muss, wenn es einem gut geht. Ich glaube, das verstehen hier viele. Darum haben wir auch so eine gute Kabine. Wir schreien uns in der Halbzeitpause mal an, aber wir halten auf und neben dem Platz absolut zusammen. Deswegen fühle ich mich hier auch so wohl, die Stimmung in der Kabine war immer super.“

Deshalb haben viele Spieler der TSG wohl so lange die Treue gehalten – trotz prominenter Anfragen. Du hattest ein Angebot der AS Rom, Andrej Kramarić vom FC Bayern. Sehr zur Freude von Mitspielern und Fans seid ihr noch da. Denkt man mit Anfang 30 trotzdem mal darüber nach, dass man gern noch etwas anderes erlebt hätte?

„Das Gefühl hatte ich wirklich noch nie. Ich bin in erster Linie sehr, sehr dankbar für meine neun Jahre in Hoffenheim. Außerdem weiß man ja nie, wie es in Rom gelaufen wäre. So werde ich irgendwann sagen können: ‚Ich war zehn Jahre bei der TSG, habe immer gespielt, wurde immer wertgeschätzt und bin zu einer Klublegende geworden.‘ Ich bin der Spieler mit den viertmeisten Pflichtspielen für die TSG und liege bei den Torvorlagen auf Rang sechs, knapp hinter Firmino und Volland. Ich schaue mir die Statistiken gern an. Es fühlt sich gut an, wenn man wieder eine andere TSG-Legende überholt hat. Aber langsam wird es schwieriger, weil Oli und Andrej ja auch immer weiterspielen. (lacht) Ich habe in einem Top-Klub Statistiken erreicht, die nur wenige Spieler erreichen. Darum würde ich nie sagen, dass ich etwas nachtrauere. Ich bin wirklich total glücklich mit dem, was ich bei und mit der TSG erreicht habe. Das habe ich kürzlich auch Journalisten aus Tschechien gesagt.“

Hatten sie das Gefühl, Du wärst schon zu lange hier?

„Nein, aber die Roma ist ein großer Klub, und natürlich wird gefragt, ob man nicht noch mehr hätte erreichen können. Meine Antwort ist immer: ‚Was ist mehr?‘ Für mich gibt es nicht mehr als das, was ich hier habe. Man braucht nicht immer noch mehr. Wenn man hier zufrieden ist, muss man nicht nach England oder Italien gehen. Ich möchte in meiner Karriere meine Ziele erreichen – und nicht die von anderen Menschen. Ich bin Pavel, ich kann selbst entscheiden und ich wollte immer in Hoffenheim bleiben. Darum bin ich noch hier. Und das gilt übrigens auch für Andrej.“

Es gibt nach wie vor einen Stamm aus Spielern, die – mit kurzer Unterbrechung - seit acht, neun Jahren das Rückgrat des Teams bilden. Das ist schon sehr besonders. Sind Spieler wie Du, Oliver Baumann, Florian Grillitsch, Dennis Geiger und Andrej Kramarić diejenigen, auf die die anderen Spieler hören?

„Das ist so, wir bilden ja auch den Mannschaftsrat, zusammen mit Kevin Akpoguma und Grischa Prömel, die ja schon in der Akademie für die TSG gespielt haben und den Klub auch ewig kennen. Man merkt schon, dass alle zuhören, wenn einer aus diesem Kreis etwas sagt. Auf der anderen Seite sind wir es auch, die eingreifen müssen, wenn mal etwas schiefläuft.“

Eine Aufgabe, die Andrej oft übernimmt. Ist er – neben seinen Toren – für die Mannschaft auch so wichtig, weil er jemand ist, der auch mal intern oder öffentlich Dinge anspricht, die ihm nicht gefallen?

„Ich bin eher ein ruhigerer Typ und möchte nicht streiten. Andrej sagt immer, was er denkt und das tut uns sehr gut. In gewissen Situationen benötigt man so einen Charakter, der Emotionen reinbringt – dadurch bewegt sich etwas und Dinge können verändert werden. Wir sind unterschiedliche Charaktere, aber verstehen uns sehr gut.“

Nach all den Jahren werdet ihr aber noch immer manchmal verwechselt…

(lacht) „Ja, das ist eigentlich unglaublich. Letztens erst war ich im Fanshop – ich hoffe, ich darf das erzählen – und wollte für meinen Vater ein Trikot zu seinem 60. Geburtstag kaufen. Ich wurde super nett begrüßt – ‚schön, dass du hier bist‘ – und habe gesagt, dass ich ein Trikot mit meinem Namen und der 60 haben möchte. Dann wurde alles fertiggemacht. Und als ich das Trikot anschaue, stand da: ‚Kramarić 60‘. Da habe ich sehr gelacht und ihn sofort angerufen. Ich wurde auch schon mit ‚Hallo Andrej‘ begrüßt. Im Gegenzug sollte er schon öfter ein Bild von mir signieren. Wir nehmen es beide mit Humor und müssen wohl noch etwas hierbleiben, damit uns alle unterscheiden können.“ (lacht)

Wenn Deine Karriere irgendwann endet – ob bei der TSG oder woanders – möchtest Du dem Fußball dann verbunden bleiben?

„Das ist momentan noch sehr schwer zu beurteilen. Meine Vorstellung ist eher, dass ich nach der Karriere nichts mehr mit dem Profi-Geschäft und seinem Rhythmus zu tun haben möchte. Irgendwann hat man genug von den Aufenthalten in Hotels und möchte auch mal ein Wochenende mit der Familie genießen. Das geht im Profi-Business nicht, denn auch als Trainer, Verantwortlicher oder Scout ist man an den Wochenenden im Einsatz. Deswegen tendiere ich momentan dazu, etwas ganz anderes zu machen.“

Deutschlehrer werden zum Beispiel.

(lacht) „Das wäre eine Möglichkeit, daran arbeite ich ja schon.“

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