Marcel Rapp: Historisch in Holstein
Marcel, sagt Dir der Name Ernst Möller etwas?
Natürlich. Das war der Siegtorschütze im Finale 1912 gegen Karlsruhe, als Holstein Kiel seine erste und einzige Deutsche Meisterschaft gewann.
Sehr gut, Du hast Dich offensichtlich mit der Historie des Klubs, für den Du seit Oktober 2021 arbeitest, auseinandergesetzt!
Ich finde das wichtig. Es hat zwar keinen direkten Einfluss auf Deine tägliche Arbeit auf dem Platz, aber ein Trainer sollte sich schon mit der Geschichte seines Vereins beschäftigen und somit auch die Leidenschaft der Mitarbeiter und Fans wertschätzen.
112 Jahre nach diesem Erfolg ist der KSV Holstein unter Deiner Leitung erstmals in die Bundesliga aufgestiegen. Wie fühlt sich das an?
Das fühlt sich sehr gut an und macht uns alle stolz. Wir hatten vielleicht den Vorteil, dass wir nicht wie andere Klubs den Druck hatten, aufsteigen zu müssen, und so in Ruhe arbeiten konnten. Aber wir nehmen diesen Erfolg jetzt sehr gerne mit.
Du hattest es bei Deinem Dienstantritt nicht leicht. Dein Vorgänger Ole Werner war an der Förde sehr beliebt und hatte große Fußspuren hinterlassen. Wie groß war der Druck zu Beginn?
Ich mache mir keinen Druck. Ich war mir der besonderen Situation mit den Corona-Einschränkungen, der verlorenen Relegation wenige Wochen zuvor, der damit verbundenen kurzen Vorbereitungsphase und dem plötzlichen Weggang des beliebten Trainers sehr wohl bewusst. Ich hatte aber auch große Lust, im Herren-Profibereich meine Trainerkarriere fortzusetzen und in Ruhe etwas entwickeln zu können.
Wie hast Du Dich denn im hohen Norden eingelebt und wie gut verstehen Sie dort Deinen Pforzheimer Dialekt?
Ich fand es von Anfang an sehr cool in Kiel, einziger Wermutstropfen war, dass meine Familie zunächst noch in Kronau geblieben ist. Das hatte aber auch den Vorteil, dass ich mich 24/7 der Einarbeitung und Eingewöhnung widmen konnte. Kiel ist eine sehr schöne Stadt, der Klub hat eine gute Infrastruktur, die Ostsee ist vor der Haustür und es gibt Spitzen-Handball beim THW zu sehen. Und ja: Die Menschen hier verstehen mich!
Diese Frage müssen wir stellen: Erster Bundesliga-Spieltag in Hoffenheim … Geschichten, die nur der Fußball schreiben kann?
Ach was. Ob am ersten oder am letzten Spieltag, das ist doch egal. Natürlich wird es etwas Besonderes sein, in der PreZero Arena einzulaufen und viele bekannte Gesichter zu sehen. Aber an diesem Tag geht es – wie an allen anderen Spieltagen auch – nur darum, guten Fußball zu spielen und Punkte zu holen.
Das Gefühl, als Cheftrainer in der PreZero Arena zu stehen, kennst Du vom Juni 2020, als Du in einem mehrköpfigen Trainerteam mit der TSG die Qualifikation für die Europa League geschafft hast…
Das war eine kurze, aber sehr lehrreiche Zeit, aus der alle Beteiligten viel mitgenommen haben. In erster Linie Erfahrung, und die gibt wiederum Selbstsicherheit.
Der KSV Holstein hat sich unter anderem mit den beiden ehemaligen Hoffenheimer U23-Spielern Andu Kelati und Max Geschwill verstärkt. Auch die anderen Neuzugänge kommen aus der 2. Bundesliga und tiefer. Mit welchen Ambitionen startest Du in die historische erste Bundesliga-Saison?
Dass wir nicht ins oberste Regal greifen können, war jedem klar. Wir wollen einfach unseren „Kieler Weg“ weitergehen und jungen Spielern eine Chance geben. Andere Vereine, wie zum Beispiel Heidenheim und Union Berlin, haben gezeigt, dass auch Aufsteiger mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln Erfolg haben können. Mein Ziel ist es, dass die Menschen im Stadion sagen: „Der Fußball, den Kiel spielt, gefällt mir.“ Dass wir die Liga halten wollen, muss ich nicht betonen.
Kommen wir auf Deine Hoffenheimer Zeit zu sprechen! Fast neun Jahre hast Du in verschiedenen Positionen in der TSG-Akademie gearbeitet. Mit welchen Gefühlen denkst Du an diese Phase Deines Berufslebens zurück?
Zunächst einmal mit viel Dankbarkeit dafür, dass ich im direkten Anschluss an meine aktive Zeit hier die Chance erhalten habe, auf diesem hohen Niveau den Einstieg in die Trainer-Laufbahn vollziehen zu können. Selbstverständlich hat mich die Zusammenarbeit und der Austausch mit vielen Kollegen geprägt, der eine mehr, der andere weniger. Ich hatte nie Eile, schnell hochzukommen, und habe die vielen Jahre in der Akademie genutzt, um auch selbst ein paar Schritte nach vorn zu machen. Ich möchte diese Zeit niemals missen.
Du hattest auch einiges zu feiern. Wir erinnern uns an ein Wochenende, an dem Du mit der U16 das Oberliga-Spitzenspiel gegen die Stuttgarter Kickers gewonnen hast und wenige Stunden später zum zweiten Mal Vater einer Tochter wurdest. Und da war diese fantastische Youth-League-Saison, als ihr bis ins Finale Four vorgestoßen seid. War das Dein Hoffenheim Highlight?
Das waren sehr schöne Erlebnisse, obwohl ich zugegebenermaßen der Zusatzbelastung durch die Youth-League-Saison zunächst skeptisch gegenüberstand. Aber wie gesagt: Auch ich habe viel dazugelernt.
Stimmt es, dass Du vor dem 4:2-Viertelfinal-Erfolg gegen Real Madrid ganz entspannt joggen warst?
Naja, ganz entspannt war ich sicher nicht. Aber ja: Ich war joggen, ich hatte eine kleine Strecke von Hoffenheim nach Zuzenhausen durch den Wald, den Hügel hoch und runter zurück nach Hoffenheim. Das hat geholfen, die Anspannung auf dem richtigen Level zu halten. Ich weiß noch, wie der Himmel sich verdunkelt hat. Dann hat es nur noch wie aus Kübeln geschüttet, der Ball blieb hin und wieder einfach in Pfützen liegen, es waren surreale 90 Minuten. Danach hatte ich gefühlt 20 Mikrofone im Gesicht. Offen gestanden haben mich aber andere Spiele noch mehr begeistert.
Welche denn?
Wir haben in der Gruppenphase Schachtar Donezk ausgeschaltet und im Viertelfinale Dynamo Kiew. Das klang auf dem Papier nicht so wie Real Madrid. Aber diese beiden Klubs haben fast alle Spieler jener ukrainischen U20-Nationalmannschaft gestellt, die nur wenige Wochen später Weltmeister wurde. Da war sehr viel Qualität drin – und wir haben uns gegen diese Teams durchgesetzt.
Für Donezk spielte unter anderem Mychajlo Mudryk, der 90- Millionen-Mann von Chelsea FC. Für Kiew Giorgi Zitaischwili, der zum 3:1-Endstand im U20-WM-Finale gegen Südkorea traf und mittlerweile georgischer A-Nationalspieler ist…
Den hat mir neulich unsere Scouting-Abteilung präsentiert. Die Jungs waren ganz überrascht, dass ich ihn kannte, obwohl er den großen Sprung nicht geschafft hat. Aber ich kann mich eben an das Kiew-Spiel, das wir im Elfmeterschießen gewannen, noch sehr gut erinnern und er war ja auch bei der gerade zu Ende gegangenen EM dabei.
Apropos EM. Welche Erkenntnisse hast Du bei diesem Turnier gewonnen?
Da die Abläufe bei einer Nationalmannschaft ganz andere sind, als in einem Klub, und die Auswahltrainer weniger auf Training, sondern vielmehr auf die individuelle Qualität ihrer Spieler angewiesen sind, haben wir jetzt nicht so viel für uns ableiten können. Außer einige Dinge, die sich im letzten Drittel des Spielfelds zugetragen haben.
An welche Hoffenheimer Jugendspieler denkst Du denn gerne zurück?
Da gibt es einige. Amadou Onana zum Beispiel, der ein starker Charakter mit eigenem Kopf war und zudem ein Top-Athlet mit absoluten Führungsqualitäten und klarem Plan, was und wohin er will. Oder auch Umut Tohumcu, der mit Talent gesegnet ist und trotzdem hart gearbeitet hat. Einer meiner Lieblingsspieler war Christoph Baumgartner. Als wir mal durch ein 2:3 gegen den FC Bayern beinahe die Süddeutsche Meisterschaft aus der Hand gegeben hatten, schoss er aus Wut über diese Niederlage einen Ball quer durch den Kabinentrakt des Dietmar-Hopp-Stadions, während andere Spieler mit ihren Freunden und Familien draußen herumstanden und flachsten. Da wusste ich: „Baumi“ wird Profi. Das Talent dazu hatte er ohnehin.
Ihr seid dann trotzdem noch Süddeutscher Meister geworden!
Das stimmt. Aber im Halbfinal-Rückspiel beim FC Schalke 04 musste „Baumi“ nach 18 Minuten verletzt raus. #
Zu Akademie-Zeiten hast Du stets Marcelo Bielsa als Dein Trainer-Vorbild genannt. Ist das noch immer so?
Es ist sicher so, dass Bielsa mit seiner Herangehensweise viele Trainer, nicht nur mich, inspiriert hat. Vorbild würde ich es nicht nennen. Wie jeder andere Trainer versuche auch ich, mir das vermeintlich Beste von anderen anzueignen und dabei meinen eigenen Stil zu prägen. Das ist mir in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren bei Holstein Kiel ganz gut gelungen. Jetzt freue ich mich einfach nur darauf, mit einer motivierten und entwicklungsfähigen Mannschaft das Abenteuer Bundesliga anzugehen.
Wo siehst Du Dich in fünf Jahren?
Die entscheidende Frage ist nicht „wo“, sondern „wie“? Als glücklichen Menschen und Trainer, dem es immer noch Spaß macht, mit talentierten Fußballern zusammenzuarbeiten und der immer noch weiter dazulernen will.