Milan Petrović: Von 0 auf 100 – Stammspieler nach Kreuzbandriss
Milan Petrović kann wieder schmunzeln. „Das Knie hält“, sagt der Innenverteidiger zum Auftakt des Gesprächs. Die lange Leidenszeit, die ihn direkt nach dem Wechsel in die U23 der TSG begleitet hatte, liegt mittlerweile hinter ihm. Petrović trainiert, spielt, füllt in der aktuellen Rückrunde einen wichtigen Part im Team von Trainer Vincent Wagner aus. Er war motiviert nach Hoffenheim gewechselt im Sommer 2022, fiel anschließend lange aus und ist nun zurück. Von 100 auf 0 – und dann wieder auf 100. Jetzt schaut Petrović nach vorne. „Denn wir haben in dieser Saison noch einiges vor.“
Um die Geschichte des Deutsch-Serben zu erzählen, ist aber auch der Blick in die Vergangenheit unabdingbar. Am 3. September 2022 gibt der heute 21-Jährige sein Debüt für die Hoffenheimer U23 in der Regionalliga Südwest. Es ist der fünfte Spieltag und die Hoffenheimer treffen im Dietmar-Hopp-Stadion ausgerechnet auf den SSV Ulm – Petrovićs vorigen Verein. Die Partie gegen den späteren Meister endet 1:3 aus Hoffenheimer Sicht und Petrović muss nach 60 Minuten angeschlagen ausgewechselt werden. „Eine Vorsichtsmaßnahme“, erinnert sich der 1,88 Meter große Verteidiger. Er ahnt seinerzeit nicht, dass es seine vorerst einzige Partie im TSG-Dress bleiben würde.
Wenige Tage später neigt sich eine Einheit der Hoffenheimer U23 im Trainingszentrum in Zuzenhausen dem Ende entgegen, als es Petrović erwischt. Eine unglückliche Bewegung bei einem Lupfer, die Stollen bleiben im Boden hängen, das rechte Knie knackt. Petrović geht zu Boden und erhält kurz darauf die niederschmetternde Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes im rechten Knie und Einriss des Innenmeniskus. „Bis dahin hatte ich mit richtig schweren Verletzungen nichts zu tun. Ich habe mir in der Vergangenheit immer mal wieder ausgemalt, wie es wohl sein muss, sich monatelang in der Reha zu quälen und auf ein Comeback hinzuarbeiten. Das war eine Horrorvorstellung. Ich weiß als Leistungsfußballer aber natürlich, dass solche Verletzungen zum Sport leider dazugehören. Ich habe die Situation angenommen.“
„Die wilden Kerle“ wecken die Lust auf Fußball
Die Liebe zum Fußball ist bei Petrović ausgeprägt. Dabei kam er auf ungewöhnliche Weise zum Kicken. „Als Kind war ich ein Riesenfan von ,Die wilden Kerle'!“ Er sieht jeden Teil der Kinderfilmreihe, die meisten Episoden noch bevor er das erste Mal selbst gegen einen Ball tritt. In einem Türkei-Urlaub entdeckt er auf einem Markt ein „Wilde Kerle“-T-Shirt. Seine Eltern kaufen es ihm. Petrović verbringt in der Folge den Großteil seiner Zeit in den Ferien auf dem Fußballplatz.
Urlaube führen ihn regelmäßig auch in die Heimat seiner Familie, die auch seine ist, zumindest in Teilen. „Ich fühle mich als Deutscher und als Serbe, habe beide Pässe, war für die serbische U17 nominiert, bin großer Fan von Novak Đoković, sehe gerne die Spiele von Nikola Jokić bei den Denver Nuggets – bin aber in Deutschland großgeworden.“ Die Familie des Vaters Zeljko stammt aus Banja Luka im heutigen Bosnien und Herzegowina, die der Mutter Simonida aus dem in der Nähe zu Kroatien gelegenen Apatin, eine Stunde von Belgrad entfernt. Petrović hat noch einen jüngeren Bruder, Marko; in Novi Sad hat die Familie ein Ferienhaus. „Meine Eltern sind beide in Deutschland geboren, meine Großeltern waren nach Deutschland geflüchtet, ich zähle also zur zweiten Generation in Deutschland.“
Die Jugoslawienkriege begannen 1991 – elf Jahre vor seiner Geburt. „Meine Eltern wurden schon mit der Maxime erzogen, dass jeder Mensch gleich ist, dass die Herkunft nichts aussagt“, sagt Petrović. „Das haben sie an mich weitergegeben. Und das ist auch mein Leitmotiv.“
Regionalliga-Debüt und Abitur
Petrović passt mit dieser Philosophie der Weltoffenheit natürlich perfekt in ein fußballerisches Umfeld. Seine ersten Gehversuche im Verein bei den Bambini des TSV Wäldenbronn sind zunächst von viel Schüchternheit geprägt. Doch diese legt sich schnell, denn Petrović bringt Talent mit. Beim FC Esslingen spielt er sich ab der D-Jugend unter seinem Mentor Martin Hägele in den Fokus des VfB Stuttgart, in dessen NLZ er später zwei Jahre spielen wird, unter anderem für die U17 in der Junioren-Bundesliga. „Man hat beim VfB aber nicht recht auf mich gesetzt. Für mich nicht so nachvollziehbar, aber so etwas passiert im Fußball. Ich hatte eine gute Alternative, konnte in die U19 zum SSV Ulm wechseln, die damals auch in der Bundesliga gespielt hat, und dort zum Führungsspieler reifen. Zudem wurde ich sehr schnell an die Herren herangeführt.“ Für die „Spatzen“ debütiert er im Jahr 2021 mit 18 Jahren, bringt es auf insgesamt 15 Einsätze in der Regionalliga – und besteht in Ulm auch sein Abitur, die Doppelbelastung Leistungssport und Schule meisternd. Mit der U19 gelingt ihm im Jahr 2019 unter anderem ein 4:2-Erfolg in der ersten DFB-Pokalrunde gegen die TSG Hoffenheim um Maximilian Beier und Marco John.
Die Verbindung zum Klub, vom dem er 2022 den Weg nach Hoffenheim einschlägt, ist weiterhin groß. „Letztlich haben sich damals viele mit mir über meinen Wechsel und die Chance, die sich für mich in Hoffenheim ergibt, gefreut.“ Zuspruch erhält er direkt nach seiner Verletzung dementsprechend nicht nur bei der TSG, die ihm alle Zeit der Welt zur nötigen Rehabilitation einräumt: „Ich hatte oft Kontakt zu vielen ehemaligen Wegbegleitern in Ulm, die teilweise ebenfalls schon schwere Verletzungen überstehen mussten. Deren Tenor war: ,Milan, das wird für dich jetzt eine Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen, aber du wirst das überstehen.' Und so ist es letztlich auch gekommen.“
Im Laufe der Saison 2022/23 tastet sich Petrović Schritt für Schritt wieder an das Team heran, kommt aber nicht mehr zum Einsatz. „Es lief ja auch gut in der Mannschaft“, erinnert sich der gebürtige Esslinger zurück. „Hoffe zwo“ spielt lange Zeit um den Aufstieg mit, am Ende springt Platz drei heraus. Petrović verfolgt dies vom Spielfeldrand. Sein Fokus liegt auf der Saison 2023/24.
Ein klarer Plan fürs Comeback
Die TSG-Verantwortlichen haben mit dem Innenverteidiger einen Plan. Sie wollen nichts überstürzen. Zum Vorbereitungsstart im Sommer 2023 ist Petrović zurück im Kreise der Mannschaft. „Der Trainer hat mir aber früh mitgeteilt, dass ich mich vorerst aufs Training konzentrieren soll und in den ersten Testspielen erst mal nicht zum Einsatz kommen werde. Das war auf der einen Seite sehr schwer für mich zu akzeptieren, da ich natürlich wieder spielen wollte. Auf der anderen Seite bin ich sehr gläubig. Ich bete jeden Abend, bedanke mich bei Gott für den Tag und bin immer davon überzeugt, dass alles, was passiert, nicht ohne Grund geschieht und einen Sinn hat. Ich bin dementsprechend drangeblieben und habe auf meine Chance gewartet.“
Das Trainingslager der U23 in den USA nutzt Petrović, um sich weiter zu stabilisieren. Der erste Stern geht schließlich in einem Testspiel gegen Rot-Weiss Essen auf, als die Saison bereits läuft: „Hoffe zwo“ lässt mit einem 5:1-Sieg aufhorchen. Petrović steht nicht nur in der Startelf, sondern trifft sogar.
Auch den letzten Rückschlag steckt Petrović weg
In der Regionalliga bleibt er dennoch vorerst außen vor, steht in der Hinrunde nur zwei Mal im Spieltagskader. „Die Mannschaft hatte weiterhin Erfolg, und ,Drex', ,Josh' und Noah (Tim Drexler, Joshua Quarshie und Noah König, Anm. d. Red.) haben es in der Innenverteidigung gut gemacht. Ich war davon überzeugt, dass ich der Mannschaft helfen kann. Auf der anderen Seite hatte auch diese Phase des Wartens sicherlich wieder ihren Grund.“
Für diese Annahme spricht, dass Petrović gegen Ende des Jahres wieder Schmerzen im lädierten Knie verspürt. Es wird noch mal ein Routineeingriff nötig. Nach der Operation muss er einige Wochen pausieren. „Die Ärzte haben mir erklärt, dass ich danach endgültig wieder Ruhe mit dem Knie haben sollte. Für mich war das in diesem Moment aber emotional wesentlich schlimmer als nach dem Kreuzbandriss im September 2022, weil ich schon wieder so nah dran war. Aber wer weiß, was passiert wäre, wenn ich vielleicht frühzeitig wieder in Pflichtspielen zum Einsatz gekommen wäre, ob dann noch etwas Heftigeres ausgebrochen wäre. Stand jetzt hat es sich für mich erst mal zum Guten gewendet.“
Nach dem Comeback geht’s schnell über 90 Minuten
In der Tat endet die kurze Rehaphase zeitlich ideal. Petrović steigt im Januar 2024 ins Wintertraining ein – und spürt schnell, dass seine Dienste fortan benötigt werden, denn in der Innenverteidigung der U23 ändert sich in dieser Zeit aus unterschiedlichen Gründen die Hackordnung. Petrović rückt in den Fokus, gibt im ersten Spiel des Jahres beim 4:0 gegen die TuS Koblenz sein Comeback und steht in der Folge regelmäßig über 90 Minuten in der Startelf.
Insbesondere die Partie gegen den Tabellenführer Stuttgarter Kickers untermauert, dass der 21-Jährige, der auch in seiner Freizeit viel Sport treibt (bevorzugt Tennis und Basketball), sein Pensum wieder auf höchstem Regionalliganiveau abspulen kann. Beim 5:0 des Tabellenzweiten gegen den Spitzenreiter bringt Petrović seine körperliche Stärke ein und hält dem zwischenzeitlichen Druck der Landeshauptstädter stand. Die Innenverteidigung bildet er in jener Partie mit Valentin Lässig, der eigentlich im defensiven Mittelfeld beheimatet ist. Ein Duo, mit dem vor der Saison kaum zu rechnen war. „Wir haben unsere eigene Art, miteinander zu kommunizieren, das hat im Topspiel und danach ganz ordentlich funktioniert“, sagt Petrović recht bescheiden, formuliert dann aber auch selbstbewusst: „Das Niveau in der Regionalliga habe ich schon mit 18 Jahren beim SSV Ulm gespielt. Ich war daher immer davon überzeugt, dass ich unserer U23 helfen und auch persönlich die nächsten Schritte in meiner Entwicklung gehen kann.“
Er will daran in den noch ausstehenden vier Spielen bis Saisonende anknüpfen – und mit der Mannschaft das Maximale rausholen. „Wir sind demütig, schauen von Spiel zu Spiel, werfen alles rein. Wir haben unsere fußballerischen Qualitäten, sind aber auch körperlich stark. Das sind gute Voraussetzungen, nicht typisch für eine U23. Und dann schauen wir einfach mal, was in dieser Spielzeit noch so alles passiert“, sagt Petrović – und schmunzelt.