Stach: „Mein Vater ist mein größter Kritiker“
Anton, wir treffen Dich zum SPIELFELD-Interview auf der Tennisanlage des FC 1920 Zuzenhausen, tatsächlich nur einen Aufschlag von der TSG-Geschäftsstelle entfernt. Es ist ein Heimspiel für Dich: Du warst als Jugendlicher in Deiner Altersklasse sogar mal unter den Top 10 in Deutschland.
„So ein Sandplatz ist ein besonderer Ort für mich. Ich habe meine ganze Kindheit über immer Fußball und Tennis parallel gespielt. Teilweise an einem Tag erst Fußball-, dann noch Tennistraining, und am Wochenende Fußballspiele und dann gern auch noch Tennisturniere. Da musste ich von meinen Eltern schon viel hin und her kutschiert werden. Das Ganze lief so, bis ich 13 oder 14 Jahre alt war. Dann kam langsam der Punkt, an dem mein Vater mir gesagt hat: ‚Irgendwann musst du dich entscheiden, du kannst nicht ewig beides machen.‘ Und letztlich habe ich mich gar nicht so sehr gegen das Tennis entschieden, sondern eher für den Fußball, weil ich es auch schön fand, einen Mannschaftssport zu machen.“
Dein Vater Matthias gilt in Deutschland als die Stimme des Tennissports, war selbst Ranglistenspieler und schlug in der Tennis-Bundesliga im Doppel an der Seite von French-Open-Sieger Thomas Muster auf. Da wäre die Entscheidung für Tennis naheliegend gewesen.
„Natürlich bin ich dadurch auch geprägt, und Tennis hat mir auch einen Riesenspaß bereitet, macht es mir auch immer noch. Allerdings haben unsere Eltern uns nie zu etwas gedrängt. Aber die Entscheidung für Fußball war doch ganz okay, würde ich sagen. (lacht) Tennis wird aber immer ein Teil von mir sein. Ich beobachte auch viele von den Jungs, gegen die ich früher noch gespielt habe oder die auf den gleichen Turnieren waren wie Alexander Zverev, der damals eine Altersklasse über mir war.“
Du hast vermutlich auch, dank Deines Vaters, einige Tennis-Stars getroffen?
„Ich war auf manchen Turnieren dabei und habe große Spieler getroffen wie Roger Federer oder auch den berühmten Onkel Toni, den Trainer von Rafael Nadal, am Hamburger Rothenbaum. Und am Stuttgarter Weißenhof habe ich vor vielen Jahren Gaël Monfils kennengelernt, einer meiner absoluten Lieblingsspieler. Da hatte ich so einen All-Area-Pass, mit dem ich überall hindurfte, eigentlich sogar bis in die Kabinen, was ich natürlich nicht gemacht habe. Das Foto mit ihm habe ich noch. Den fand ich immer total cool, weil er ein wahnsinnig spektakulärer Spieler ist, ein echter Zocker. Ich war ähnlich, habe auch immer gern so Variationen Stop-Lob gespielt – aber natürlich nicht so gut.“ (lacht)
Hättest Du denn tatsächlich die Chance gehabt, auch im Tennis ähnlich weit zu kommen?
„Ich glaube, das Potenzial hätte ich gehabt. Wenn du so jung bist, ist es allerdings noch schwer zu sagen, ob es dann am Ende für eine Profikarriere reicht oder nicht. Aber in meiner Altersklasse habe ich eigentlich mit relativ wenig Aufwand, da ich ja immer parallel noch gekickt habe, super Turnierergebnisse erzielt. Da traf ich auf Spieler wie Rudolf Molleker, der ja auch schon mal unter den Top 150 der Welt war und bei Grand-Slam-Turnieren im Hauptfeld stand. Gegen Rudi hatte ich oft sehr enge, hitzige Matches, aber einmal habe ich, wenn ich mich recht erinnere, 6:2, 6:0 gegen ihn gewonnen. Das war schon eine großartige Zeit.“
Aber die Wahl fiel letztlich doch auf den Fußball. Kannst Du die Entscheidung erklären?
„Es wurden zu jener Zeit in meiner Heimatregion, also Buchholz in der Nordheide, die ersten Vereine auf mich aufmerksam, St. Pauli, der HSV, Bremen. Ich war 14, da verfolgst du am Wochenende immer die Bundesliga – und vermutlich hat das den Ausschlag gegeben, dass ich dachte: ‚Boah, ich kann jetzt selbst in der Jugend von so einem riesigen Verein spielen.‘ Ich glaube, die Entscheidung stand, als die Verantwortlichen von Werder Bremen bei uns zu Hause waren – und ich dann als Jugendlicher große Augen gemacht und gedacht habe: ‚Die Chance will ich nutzen‘.“
Du bist aber erst mal noch in Buchholz wohnen geblieben, knapp 100 Kilometer entfernt.
„Ich bin das erste Jahr gependelt, immer mit dem Zug, mehr als eine Stunde von Bahnhof zu Bahnhof, quasi jeden Tag nach der Schule. Danach haben sie mir einen Platz im Internat angeboten. Meine Mutter war zwar nicht so begeistert von der Vorstellung, dass ich so schnell von zu Hause weggehe, aber am Ende habe ich es gemacht – und es war eine prägende Zeit. Ich habe viel gelernt, musste früh selbstständig werden. Am Anfang aber, wenn ich mit meinen Eltern im Urlaub oder mal wieder längere Zeit daheim gewesen war, war es hart, wieder den Absprung zu schaffen. Ich hatte es ja richtig gut zu Hause.“
Inwieweit hilft es für das gegenseitige Verständnis, wenn man eine Familie im Rücken hat, bei der sich alles um Sport dreht, die beiden Schwestern Basketball auf nationalem Spitzenniveau spielen und der Vater im Sportjournalismus eine bekannte Größe ist?
„Sport war immer ein riesiges Thema bei uns. Unseren Eltern war immer wichtig, dass wir uns bewegen, egal in welchem Sport. Wegen der Gesundheit, aber auch wegen der sozialen Kontakte. Ich bin dann bei Fußball und Tennis hängen geblieben. Meine Schwestern haben Basketball und am Anfang auch Tennis gespielt. Es hat uns allen megamäßigen Spaß gemacht und so sind wir dabeigeblieben.“
Gab es denn Rivalitäten?
„Ich bin ja der einzige Junge in unserem Trio, da ist es noch etwas anders. Ich habe zwar mit meinen Schwestern Basketball gespielt, dann aber meistens nur in der Defensive. (lacht) Das war immer ein gesunder Wettkampf unter uns Geschwistern. Das haben unsere Eltern sehr gut hinbekommen, dass wir uns wirklich alles gegenseitig gönnen und uns pushen.“
Nicht nur Du, auch Deine Schwestern haben es da sehr weit gebracht.
„Es ist wirklich erstaunlich. Meine jüngere Schwester Lotta spielt mit 21 inzwischen auch schon im dritten Jahr in der Basketball-Bundesliga, nun beim Mitteldeutschen BC. Und meine ältere Schwester Emma ging schon mit 17 nach dem Abitur in die USA und spielte Basketball an der Gonzaga University, später war sie auch weiterhin viel im Ausland. Zuletzt hat sie bei einem griechischen Klub gespielt und ist im Sommer mit dem deutschen Basketball-Nationalteam bei der EM Sechste geworden. Mal schauen, wohin sie nun wechselt.“
Diesen Prozess hast du schon hinter Dir. Du bist am 1. September, dem letzten Tag der Transferperiode, vom 1. FSV Mainz 05 zur TSG gewechselt. Wann hast Du für Dich entschieden, Dich zu verändern?
„Ich bin Mainz 05 sehr dankbar für alles. Ich habe dort meine ersten Schritte in der Bundesliga gemacht und bin deutscher Nationalspieler geworden – auf meinen persönlichen Lieblingspositionen auf der Sechs oder der Acht. Aber der Trainer hat mich zuletzt woanders gesehen, mich auf die Zehn gestellt oder vorn auf dem Flügel eingesetzt. Ich habe gemerkt, dass es nicht die Position ist, auf der ich mich wohlfühle. Ich mag es, den Ball am Fuß und das Spiel vor mir zu haben. In Mainz merkte ich auf einmal, dass ich so meine Stärken gar nicht mehr so richtig auf den Platz bekommen konnte. Es hat mich selbst ein bisschen frustriert, das war ein schleichender Prozess. Und die Verantwortlichen in Hoffenheim, mit Alexander Rosen und Trainer Pellegrino Matarazzo an der Spitze, haben mir ein richtig gutes Gefühl gegeben. Ich kannte Hoffenheim und ich glaube, die Philosophie passt einfach sehr, sehr gut zu mir. Diese Einschätzung hat sich in den ersten Wochen auch bestätigt: Es ist intensiv, aber macht extrem großen Spaß. Ich glaube, die TSG hat ein Riesenpotenzial und ich bin froh, hier zu sein.“
Du hast von der Philosophie gesprochen, die Dir bei der TSG gefällt. Wie würdest Du sie mit drei, vier Schlagworten beschreiben?
„Das Spielerische, die Pass-Stafetten, das gute Kombinationsspiel, das ist Hoffenheim, wie man es in Deutschland kennt. Guter, attraktiver Fußball, mit vielen Ballaktionen, gern auch flach, versuchen, selbst viel zu agieren. Das ist für mich die TSG.“
Und wie hat Trainer Pellegrino Matarazzo Dir seine Ideen nähergebracht?
„Rino ist ein sehr strategischer Trainer, finde ich. Er gibt einem enorm viel Input, den man dann umsetzen muss. Er hat mich auch gefragt, auf welcher Position ich mich sehe, und das deckt sich komplett mit seiner Auffassung. Er sieht in mir einen Sechser oder auch Achter, auf jeden Fall in der Zentrale.“
War Dein Länderspieldebüt für Dich bisher das Highlight in Deiner Laufbahn oder würdest Du da vielleicht den U21-Titel oder das Erlebnis Olympische Spiele hervorheben?
„Das erste A-Länderspiel ist schon nochmal etwas ganz Besonderes. Der Titel bei der U21-EM war natürlich auch großartig, der Bundesliga-Aufstieg mit Greuther Fürth gehört zu den Top-Momenten, ganz sicher auch die Erfahrung bei den Olympischen Spielen. Aber dieses A-Länderspiel hat bei uns daheim noch mal einen besonderen Wert. Ich wurde auch in der Familie immer aufgezogen, dass meine Schwestern so und so viele Länderspiele haben und ich der mit den wenigsten Partien für Deutschland bin. (lacht) Da gibt es immer ganz witzige Debatten bei uns zu Hause. Ich habe ja nun immerhin schon mal zwei Länderspiele – und hoffe, dass noch weitere folgen werden.“
Was bedeutet es Dir, für Deutschland anzutreten?
„Eine Berufung für die Nationalmannschaft ist eine Riesenehre. Wenn man sich überlegt, dass ja mehr als eine Million Menschen in Deutschland Fußball spielen und du gehörst dann zu der Auswahl der in diesem Moment – in Anführungszeichen – besten Spielern des Landes, dann ist das eine riesige Auszeichnung. Ich glaube, dessen ist man sich in dem Moment gar nicht so bewusst. Aber wenn man in Nachhinein darüber nachdenkt, ist es eigentlich Wahnsinn, das geschafft zu haben.“
Wie blickst Du aktuell auf die Situation bei der Nationalelf?
„Als Erstes möchte ich sagen, dass ich Hansi Flick unfassbar dankbar bin, unter ihm als Bundestrainer debütiert zu haben. Ich habe ihn als super Menschen kennengelernt und deshalb ist es schade, dass es nicht mehr so funktioniert hat. Aber zugleich hoffe ich, dass es nun, wie beim Spiel gegen Frankreich, wieder eine positive Verbindung zwischen Mannschaft und Fans gibt, dass es wieder eine Einheit wird. Ich glaube, dass diese Mannschaft einfach Vertrauen verdient – und dass sie nicht so schlecht ist, wie sie oft gemacht wird. Es geht darum, wie man als Team auftritt. Das kann man sich auch bei den Basketballern abgucken. Da hat man bei der WM von Beginn an gesehen, was sie für ein Team sind, sie haben sich gegenseitig und dann gemeinsam mit den Fans gepusht und am Ende den Titel geholt. Wenn Deutschland im Fußball auch so eine Stimmung hinbekommt, dann wird es wieder sehr schwer, gegen uns zu gewinnen. Erst recht bei der Heim-EM.“
Vielleicht ja sogar mit dem Spieler Anton Stach. Oder gar Deinem Vater am Mikrofon, wie bei der U21-EM, als er plötzlich Deine Einwechslung kommentieren durfte. Wie hast Du diese schon fast berühmte Szene erlebt?
„Im Spiel habe ich es ja nicht mitbekommen, aber nach der Partie habe ich das Video gefühlt 1.000-mal geschickt bekommen. Wir haben dann miteinander darüber gelacht. Es war einfach eine kuriose Situation, die auch vielen Leuten im Gedächtnis geblieben ist. Es ging so schnell, weil ich vorher nicht mal ein Testspiel in der Jugendnationalmannschaft gemacht hatte, plötzlich bei der EM dabei war – dann sogar eingewechselt wurde und mein Vater bei meinem Debüt am Mikrofon saß. Es war ein sehr cooles Erlebnis, ich glaube auch für meinen Vater. Auch wenn es emotional nicht so einfach ist, den eigenen Sohn zu kommentieren. Aber er hat es ganz gut gemacht, finde ich.“ (lacht)
Der Leverkusener Sechser Granit Xhaka hat jüngst in einem Interview gesagt, er sei von seinem Vater noch nie gelobt worden. Geht es Dir da womöglich ähnlich, der Vater als großer Unterstützer und gleichzeitig auch größter Kritiker?
„Es stimmt schon. Durch ihn habe ich schon ganz früh gelernt, mit Kritik umzugehen. Wenn wir in der Jugend mal 5:0 gewannen und ich drei Tore erzielte, dann sagt er nie: ‚Toll gespielt, super gemacht‘, sondern ‚In der Situation hättest Du das und das besser machen müssen.‘ Er hatte immer die Auffassung: ‚Gelobt wirst Du sowieso genug von anderen!‘ Ich glaube, das hat mich geprägt, mich aber zugleich auch wahnsinnig weitergebracht. Es ist heute immer noch so: Ich rede eigentlich nach jedem Spiel mit ihm und er sagt mir offen seine Meinung. Mein Vater ist mein größter Kritiker. Das ist wichtig. Ich denke, nur so kommt man weiter. Aber natürlich freue ich mich, wenn er mich mal lobt – zumindest ab und zu. Denn das kommt natürlich auch vor.“ (lacht)