Geiger: „Ich spüre hier die Wertschätzung“
Dennis, nach einer schwierigen Saison habt ihr am 33. Spieltag den Klassenerhalt feiern können. Wie war die Gemütslage danach?
„Es ist sehr viel Druck abgefallen. Egal, ob Mitarbeiter, Fans oder Spieler: Jeder war einfach nur erleichtert nach dem 4:2 gegen Union Berlin. Da nur wir Spieler es richten konnten, haben gerade wir enormen Druck gespürt. Da war es ein schönes Gefühl, den Klassenerhalt zu sichern. Aber niemand will nochmal in so eine Situation kommen. Es hat verdammt viel Kraft gekostet.“
Wie bist Du in Deinem Alltag mit dem Druck umgegangen?
„Ich habe versucht, in meiner Freizeit Abstand vom Fußball zu gewinnen, mal über etwas anderes zu reden oder nachzudenken, nicht jedes Spiel zu gucken. Aber es fällt einem dann natürlich nicht leicht, wenn ein Konkurrent im Einsatz ist. Als etwa Schalke freitags in Mainz gespielt hat, wollte ich die Partie nicht schauen, habe dann trotzdem alle fünf Minuten die Zwischenstände gecheckt und irgendwann ab der 60. Minute den Fernseher doch angemacht. Und ehrlich gesagt: Als Schalke in der Nachspielzeit per Elfmeter zum Sieg traf, war die Nacht alles andere als angenehm. Weil man einfach wusste: Okay, am nächsten Tag gegen Eintracht Frankfurt – das müssen wir einfach gewinnen. Sonst wird es noch enger als eng.“
War das Frankfurt-Spiel die herausforderndste Situation in dieser Saison?
„Für mich auf jeden Fall. Natürlich standen wir vor dem Spiel gegen Hertha BSC Mitte März auf dem letzten Rang, aber damals wussten wir, dass noch viele Partien folgen. Wenn wir aber gegen Frankfurt verloren hätten, hätte es richtig übel werden können. Danach gab es nur noch drei Spiele, zwei davon auswärts. Da war wahnsinnig viel Druck auf dem Kessel. Aber wir haben standgehalten und als es darauf ankam unsere beste Leistung gezeigt. Ich muss der Mannschaft ein Riesenkompliment machen: Im Saisonschlussspurt haben wir jedes Spiel gewonnen, das wir gewinnen mussten.“
Dennoch ist es nicht der Anspruch der TSG Hoffenheim, erst einen Spieltag vor Schluss den entscheidenden Schritt zum Klassenerhalt zu machen. Welche Saisonziele siehst Du für die TSG in der Zukunft?
„Ich habe hier nicht verlängert, um jede Saison gegen den Abstieg zu spielen. Das ist weder mein persönlicher noch der Anspruch der TSG Hoffenheim. Dennoch müssen wir von dem Gedanken wegkommen, dass wir jedes Jahr in der Europa League oder Champions League spielen können. Diese Kraft haben wir als Mannschaft und als Verein nicht. Da gibt es einfach andere Kaliber in der Liga. Es stört mich schon ein bisschen, dass viele denken, wir müssen uns jedes Jahr für Europa qualifizieren. Wenn wir eine gute Saison spielen und alles passt, dann kann man die internationalen Plätze ins Visier nehmen. Aber in einer normalen Saison ist Platz zehn realistischer als Platz fünf oder sechs. Natürlich wollen wir nicht bis zum Ende gegen den Abstieg spielen, aber es ist dann in so einer schweren Spielzeit auch eine Leistung, wenn man den Klassenerhalt noch schafft.“
Wie wichtig ist es, diese Erwartungshaltung nach außen zu transportieren?
„Die Außenwirkung ist enorm wichtig. Die drei Teilnahmen im Europapokal in 15 Jahren Bundesliga waren großartige Ausnahmen, sie können nicht dauerhafter Anspruch sein. In der Zeit hat einfach alles gepasst. Trainer, Mannschaft, Umfeld – alles war perfekt. Das kann man nicht jede Saison erwarten und nicht beliebig wiederholen. Die TSG Hoffenheim hatte in der Rückschau zwei außergewöhnliche Phasen. Das war unter Ralf Rangnick die Herbstmeisterschaft und unter Julian Nagelsmann die Champions-League-Qualifikation. Aber selbst in diesen Phasen gab es die Plätze 11 und 9, zumeist waren wir im gesicherten Mittelfeld platziert, und zwischenzeitlich haben wir als TSG Hoffenheim gegen den Abstieg gespielt. Dessen muss man sich immer bewusst sein.“
Unabhängig vom Tabellenplatz, was wünschst Du Dir für ein Auftreten in der Zukunft?
„Ich sehe ein großes spielerisches Potenzial in der Mannschaft. In der Schlussphase der Saison war das nicht mehr gefragt, im Abstiegskampf geht es um andere Dinge. Aber die Trainingseinheiten unter Rino (Trainer Pellegrino Matarazzo; Anm. d. Red.) geben mir ein gutes Gefühl, dass wir da noch mal einen Step nach vorn machen. Und auf eine gewisse Art wird uns diese Saison in Zukunft helfen. Wir haben gelernt, auch mal dreckiger zu spielen und uns zu wehren. Es geht nicht nur mit Schönspielerei, so gewinnt man nichts. Der Verein will weiterhin viele junge Spieler ausbilden. In der nächsten Saison werden einige von unseren guten Jungs den nächsten Schritt machen und auch zu mehr Einsätzen kommen. Das ist auch das, was die Fans sehen wollen. Ich freue mich darauf, da voranzugehen und den Jungs zu helfen. Diese Saison hat uns als Mannschaft noch mehr zusammengeschweißt, das war auch in den letzten Saisonspielen zu spüren, was da für eine positive Energie von der Bank rüberkam.“
Du selbst gehst auf dem Rasen auch voran und reißt mit leidenschaftlichen Zweikämpfen oder Emotionen auch mal die Zuschauer mit…
„Das gehört zu meiner Spielweise dazu, auch wenn ich es in den wichtigen Spielen vielleicht etwas übertrieben habe. Aber ich brauche das, um auf mein Level zu kommen, diese Energie freizusetzen. Ich kann damit direkt ein Zeichen setzen, um Mannschaft und Fans anzustacheln. So eine Aktion kann dafür sorgen, dass wir auch wirklich von der ersten Minute an bereit sind. Wenn du auf dem Platz von deinen Mitspielern gepusht wirst, fühlt sich das doch für jeden gut an.“
Du hast neun Gelbe Karten in dieser Saison gesammelt, in den letzten Spielen eine Sperre jedoch vermieden.
„Das ist Teil des Reifeprozesses. Ich bin nicht nur älter, sondern auch erfahrener geworden. Es war die ganze Zeit in meinem Kopf, dass ich fehlen würde, wenn ich noch eine Verwarnung sehe. Deshalb habe ich mich in den letzten fünf Spielen etwas zurückgenommen. Ich wusste, dass ich gebraucht werde, ich wollte keine dumme Verwarnung für Meckern, Ball wegschlagen oder ähnliches bekommen. Es ist mein Anspruch voranzugehen. Ich will der Mannschaft das geben, was sie von mir braucht und was sie von mir erwartet. Da ist es das Wichtigste, dass ich erstmal auf dem Platz stehe, das war in der Vergangenheit oft nicht der Fall. Ich will das Team nicht im Stich lassen, eine unnötige Sperre darf man sich da nicht erlauben.“
„Als junger Spieler wusste ich nicht, wie wichtig das ist. Du denkst: Ich bin 18, 19 Jahre alt: Was soll ich mich denn hier noch stretchen oder in den Kraftraum gehen? Wofür? Auch das gehört zu einem Reifeprozess. Ich musste es auf die harte Tour lernen, aber so ist es manchmal im Leben.“
In der Vergangenheit musstest Du oft verletzt zusehen, diese Saison bist Du von größeren Verletzungen verschont geblieben…
„Ich habe endlich eine Saison durchgespielt ohne eine größere Verletzung. Zwar habe ich sieben Spiele verpasst, aber eins davon war wegen einer Sperre und die anderen waren nur kleinere Problemchen oder ich war krank. Ich habe in meiner Profi-Karriere noch nie so viele Partien in einer Spielzeit absolviert. Das tut mir unfassbar gut.“
Hast Du dafür etwas Spezielles gemacht?
„Ich habe mich am Oberschenkel operieren lassen, das war die beste Entscheidung meines Lebens. Sonst wäre es vielleicht nicht weitergegangen. Es war so viel kaputt, was nie richtig geheilt ist. Selbst wenn ich gespielt habe, hatte ich immer Probleme nach meiner ersten Verletzung. Nach der Operation hatte ich endlich wieder Vertrauen in meinen Körper. Aber ich investiere natürlich selbst mittlerweile auch mehr in meinen Körper. Das Training nach dem Training gehört mittlerweile einfach dazu. Als junger Spieler wusste ich nicht, wie wichtig das ist. Du denkst: Ich bin 18, 19 Jahre alt: Was soll ich mich denn hier noch stretchen oder in den Kraftraum gehen? Wofür? Auch das gehört zu einem Reifeprozess. Ich musste es auf die harte Tour lernen, aber so ist es manchmal im Leben.“
Du standest vor Deiner Verletzung für die deutsche U21 auf dem Rasen. Beschäftigst Du Dich mit dem Thema Nationalmannschaft?
„Darin investiere ich keine Energie. Früher war das anders, aber ich habe mein Denken verändert. Ich bin mega-ehrgeizig, aber ich war quasi zwei Jahre am Stück verletzt – das erdet. Ich weiß es zu schätzen, was ich hier jeden Tag erleben darf. Mit den Jungs auf dem Platz zu stehen und nicht mehr in der Reha zu sein, ist ein großartiges Gefühl. Ich wusste auch nicht, wie ich zurückkomme. Es haben genug Menschen prophezeit, dass ich die zwei wichtigsten Jahre meiner Karriere verloren hätte und gefragt, ob ich überhaupt zurückkommen werde. Da bin ich einfach nur froh, dass ich auf dem Rasen stehen kann. Auch wenn ich immer nach dem Maximalen strebe.“
Du hast Deinen Vertrag bei der TSG um vier Jahre verlängert, was hat Dich dazu bewogen, für eine lange Zeit in Hoffenheim zu unterschreiben?
„Es war von Anfang an klar, dass ich nicht für ein oder zwei Jahre unterschreiben werde. Ich wusste, dass es so eine Situation nicht nochmal geben wird: Mit 25 Jahren, im besten Fußballer-Alter nach einer fast verletzungsfreien Saison ablösefrei wechseln zu können. Das hat natürlich seinen Reiz, es wäre der Zeitpunkt gewesen, um etwas anderes zu machen. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht, an manchen Tagen auch mal den Kopf zerbrochen. Am Ende hatte ich die Wahl zwischen zwei verschiedenen Angeboten und es ist mir auch nicht leichtgefallen, aber ich habe auf mein Herz gehört und mich aus Überzeugung für Hoffenheim entschieden. Ein paar Wochen später kann ich sagen: Es war die richtige Wahl.“
Du hast mitten im Abstiegskampf unterschrieben...
„Damit wollte ich natürlich ein Zeichen setzen. Ich hätte bei anderen Vereinen sicher mehr Geld verdienen können, aber mir ist es wichtiger, dass ich mich wohlfühle und glücklich bin. Und in Hoffenheim ist das hundertprozentig der Fall. Hier spüre ich die Wertschätzung, gerade auch nach all den Jahren, in denen es verletzungsmäßig schwieriger war. Hier weiß ich einfach, was ich an dem Verein und was ich an der Mannschaft habe. Auch der Trainer hat sicher eine Rolle gespielt, weil Rino auch um mich gekämpft hat. Ich habe in dieser Saison gemerkt – egal, wie schlecht es auch lief – was für einen guten Geist wir im Team, was für eine geile Truppe wir einfach haben. Am Ende war es dann einfach so auch ein bisschen Bauchgefühl. Ich denke, dass ich mich in den nächsten Jahren hier am wohlsten fühle. Ich habe die Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen, an dem in den Sternen stand, ob wir in der ersten Liga oder in der zweiten Liga spielen werden. Ein klareres Bekenntnis kann es eigentlich nicht geben.“