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SPIELFELD
15.06.2023

Die Stimme sagt Adieu

Mike Diehl hat zum Saisonende als Stadionsprecher der TSG Hoffenheim aufgehört, bleibt dem Klub aber in anderen Funktionen weiter erhalten. In den vergangenen knapp 20 Jahren hat der Hesse die TSG mit seiner offenen Art geprägt. Das Heimspiel gegen den 1. FC Union Berlin war sein letzter Einsatz am Seitenrand. Mit SPIELFELD blickt der 59-Jährige zurück auf zahlreiche bewegende Momente in den vergangenen zwei Jahrzehnten.

Plötzlich wird es am Ostersonntag still in der PreZero Arena. 15 Minuten vor dem Anpfiff der Partie der TSG Hoffenheim gegen den FC Schalke 04 (2:0) verstummt die Musik – ebenso wie die Fangesänge. Nur noch vereinzelte Geräusche stören die Ruhe, ehe Stadionsprecher Mike Diehl das Wort ergreift und den Blick zur Videoleinwand richtet. Zu sehen: die Traueranzeige der verstorbenen langjährigen TSG-Mitarbeiterin Christiane Rienesl. Spätestens in diesem Moment spürt jeder Zuschauer, dass es keine normale Durchsage eines Stadionsprechers wird. Auch die zahlreichen Schalker Fans halten für einen Moment inne. Nur Mike Diehl ist zu hören.

Seine Kappe, die er seit Jahren als Markenzeichen bei den Spielen trägt, hat er aus Respekt für diesen Moment ausgezogen. Mit zerbrechlicher Stimme spricht der 59-Jährige über seine verstorbene Kollegin. Immer wieder muss er seine Rede unterbrechen, zu schwer fällt es ihm. Hin und wieder kullert eine Träne die Wange herunter. Bis zum Ende kämpft sich Diehl durch und verabschiedet sich mit den Worten: „Das ist für Dich, Christiane“.

Der Moment berührt das gesamte Stadion. TSG-Spieler sowie Trainer gucken während des Warmmachens vom Rasen zur Seitenlinie und klatschen für Christiane Rienesl. Auf dem Weg in die Kabine laufen sie an Diehl vorbei, spenden ihm Trost oder umarmen den Stadionsprecher. „Das war der bewegendste und schwerste Moment in meinem Berufsleben. Wir haben 20 Jahre lang eng zusammengearbeitet und waren super Kollegen. Ich konnte meine Gefühle nicht zurückhalten. Ich bin mir sicher, dass sie das mitbekommen hat und bin froh, dass wir das Spiel – auch für sie – gewonnen haben“, sagt Diehl.

In seinem viertletzten Spiel als Stadionsprecher erlebt Diehl seinen emotionalsten Augenblick. Der gebürtige Odenwälder hat zum Ende der Saison mit der Infield-Show aufgehört, bleibt der TSG Hoffenheim aber erhalten. Er leitet weiter die Abteilung Charity und Soziales, die er in den vergangenen 20 Jahren mit viel Engagement aufgebaut hat, verantwortet die Stadionführungen und ist für die Organisation des Fanhauses zuständig. Zudem betreut er an Heimspieltagen den Joma-Talk auf der Business- Ebene und wird sich künftig noch mehr im Umfeld einbinden. Auch wenn ihm der Abstand schwerfällt, freut sich der ehemalige Radio Regenbogen und ZDF-Moderator auf das, was kommt: „Ich werde dieses Jahr 60, da ist es dann auch mal an der Zeit, Platz für andere zu schaffen. Ich wollte nie jemand sein, der den Absprung nicht hinbekommt. Ich habe die Tätigkeit als Stadionsprecher nie als einen Job gesehen, sondern als Berufung. Für mich war es immer eine Ehre, die TSG am Mikro vertreten zu dürfen. Ich könnte mich nicht ganz von der TSG trennen und bin deshalb glücklich, dem Verein erhalten zu bleiben.“

In seiner Anfangszeit bei der TSG Hoffenheim rief Diehl in jeder Gemeinde in der Nähe von Sinsheim an und machte Werbung für den Verein. Mit Erfolg: Anfang des Jahrtausends baute er das Fanwesen bei der TSG Hoffenheim auf. Spätestens mit dem Aufstieg in die Bundesliga wuchs das Interesse an der TSG. „Nach der Hinrunde hatten wir plötzlich 120 Fanclubs, das waren 90 mehr als ein halbes Jahr zuvor. Die Mannschaft hat ein Tempo vorgegeben, dem der Verein und die Mitarbeitenden nicht standhalten konnten“, sagt Diehl.

In den vergangenen 20 Jahren verpasste Diehl kein Heimspiel der TSG. Immer wieder richtete er seinen Terminplan nach den Hoffenheimer Partien. Am 11. April 2009, gleich in der ersten Bundesliga-Saison, hatte der 59-Jährige jedoch mit Magenproblemen zu kämpfen.

„Wir haben damals gegen den VfL Bochum gespielt und ich bin zwischen Spielfeldrand und Toilette hin- und hergerannt. Als ich auf dem Klo saß, ist das 3:0 für Bochum gefallen und die Stadionregie hat mich via Funk gefragt, ob ich das Tor ansagen will. Dann habe ich mir das Mikro genommen, von der Toilette zu den Fans gesprochen und keiner hat es gemerkt“, sagt Diehl lachend.

Seine offene und ehrliche Art wird von den TSG-Fans geschätzt. Ob in der Regionalliga gegen die Stuttgarter Kickers oder in der Bundesliga gegen den FC Bayern München, der Einsatz bleibt für den leidenschaftlichen Kappenträger der gleiche. Er schaut sich nichts von anderen Stadionsprechern ab oder verstellt sich. Mike Diehl bleibt Mike Diehl, egal in welcher Liga.

Dem ehemaligen Schulkameraden von Bruno Labbadia liegen besonders die sozialen Projekte, die er auch in den nächsten Jahren weiterhin betreuen wird, am Herzen. „Was diesen Klub ausmacht, ist das soziale Engagement. Wir haben die Dietmar Hopp Stiftung, TSG hilft oder auch Anpfiff ins Leben in der Region. Das sind großartige Projekte, die mich unfassbar stolz machen.“

Wie sehr der 59-Jährige den Klub und die Region verinnerlicht hat, zeigt jede Mail von ihm. In der Signatur verabschiedet sich Diehl immer mit „symbadischen Grüßen“. Seine Familie und Freunde hat er schon längst von der TSG überzeugt. Nahezu sein gesamtes Umfeld hofft Woche für Woche mit und drückt Hoffenheim die Daumen. Nach den Spielen braucht der ehemalige ZDF-Moderator meistens zwei bis drei Stunden, ehe er einschlafen kann. Ein Leben ohne die TSG Hoffenheim ist für ihn unvorstellbar.

Und so wurde es am 33. Spieltag emotional, als Mike Diehl – für 20 Jahre die Stimme der TSG – ein letztes Mal die Startaufstellung vorlas und in der packenden Nachspielzeit zunächst Andrej Kramarićs, kurz darauf Munas Dabburs Treffer bejubeln durfte. Ein Wunsch des 59-Jährigen hat sich dabei erfüllt: „Es war der perfekte Abschied, als wir gemeinsam mit den Fans den Klassenerhalt feiern konnten.“

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