Carsten Kuhn: „So ist Fussball“
Cheftrainer Carsten Kuhn hatte sich nach dem bitteren Aus schnell gesammelt, professionell gab er wenige Minuten später dem übertragenden Fernsehsender ein Interview. Der 37-Jährige ist generell der Typ, der seine Emotionen gut im Griff hat und der nicht durch Wutausbrüche negativ auffällt. Es war aber vielleicht gut, dass er die spielentscheidenden Szenen erst im Nachgang zu sehen bekam. Denn als ihm zum Beispiel das vermeintliche Foul gezeigt wurde, das zum Elfmeter zum 2:1 führte, verließ der ansonsten verbaler Entgleisungen unverdächtige Trainer wutentbrannt das Stadioninnere und verschwand fluchend in die Katakomben.
Das turbulente 4:3 im Hinspiel hatte erahnen lassen, dass auch das Rückspiel nichts für schwache Nerven sein würde. Nach den ersten 45 Minuten, in denen Blessing Makanda nach Tiago Pollers Traumpass das 1:0 erzielt und die U17 generell eine solide Vorstellung gezeigt hatte, deutete auch einiges auf einen erfolgreichen Ausgang hin. Doch es kam anders. „Wir hatten einfach kein Spielglück, und der Schiedsrichter hat hanebüchene Entscheidungen getroffen, die uns nicht gerade in die Karten gespielt haben“, so Kuhn. Die Fernsehbilder belegen das. Innerhalb von 15 Minuten nahm der Unparteiische Niklas Wich entscheidenden Einfluss auf die Begegnung.
Drei unglückliche Schiedsrichterentscheidungen
Erste unglückliche Entscheidung: In der 55. Minute steigt Wolfsburgs Bennit Bröger kurz vor der Strafraumgrenze Poller in die Eisen. Das Standbild zeigt einen umgeknickten Fuß, der an die legendäre Verletzung von Tennisspieler Michael Stich beim ATP-Turnier in Wien 1995 erinnert. Bröger sieht die Gelbe Karte, bei Videobeweis hätte es glatt Rot gegeben. Der Freistoß verpufft, Poller muss kurz vor Schluss ausgewechselt werden und humpelt unter großen Schmerzen und mit dickem Knöchel in die Kabine.
Zweite unglückliche Entscheidung: Briek Morel klärt gegen Trevor Benedict, von dessen Schienbein der Ball an den Pfosten knallt und im Tor-Aus landet. Der Unparteiische entscheidet aber auf Ecke – und die führt zum 1:1 (61.).
Dritte unglückliche Entscheidung: Besser, als David Girmann Benedict vom Ball trennt, kann ein Abwehrspieler eine brenzlige Situation im Strafraum nicht bereinigen. Auch die TV-Kommentatoren sind sich einig: Kein Foul. Der Schiedsrichter deutet jedoch auf den Punkt – 2:1 (72.).
Starke Mentalität
„Wir hätten nach 70 Minuten in Überzahl sein und führen müssen“, so Kuhn „Umso größer ist die Leistung der Jungs zu bewerten, dass sie sich von diesen Rückschlägen erholen, eine starke Mentalität zeigen und noch einmal zurückkommen.“ Der 2:2-Ausgleich durch ein Eigentor von David Odogu vier Minuten vor dem Ende sorgt für das nächste Wechselbad. Jetzt steht die TSG wieder im Endspiel. Der Homepage-Text mit der Überschrift „Finale! U17 besteht im Krimi von Wolfsburg“ ist nur einen Mausklick von der Veröffentlichung entfernt, als die vierte von vier angezeigten Nachspielminuten ausläuft und ein letzter Freistoß in den TSG-Strafraum fliegt. Danach muss der Text umgeschrieben werden.
„Die Schlussphase war sehr hektisch, die Jungs waren erschöpft und es fehlte ihnen an der nötigen Cleverness. Zwei Mal verpassen sie die Gelegenheit, die Eckfahne zu suchen und den Ball länger zu halten, dann begehen sie ein völlig unnötiges Foul, das zum Freistoß führt, den wir schlecht verteidigen“, sagt Kuhn, der das nicht als Kritik an seiner Mannschaft verstanden wissen will. „Solche Fehler passieren im Jugendfußball. Im Elfmeterschießen ist das Momentum dann auf Seiten des VfL. Beim letzten Schuss ist Gebert sogar noch dran, aber es hat einfach nicht sein sollen. So ist Fußball.“
Bittere Erfahrung in Energie umwandeln
In den insgesamt 180 Minuten – Nachspielzeit nicht mitgerechnet – lagen die Hoffenheimer in der Addition 143 Minuten in Führung, die anderen 37 stand es Unentschieden, nie lagen sie im Rückstand. Bis zum Elfmeterschießen. Der attraktive Vollgasfußball wurde nicht belohnt, die Körperlichkeit der „Wölfe“, die nun am Sonntag in Bielefeld auf die Arminia treffen, setzte sich letzten Endes durch. Auf der Heimfahrt, der Bus trudelte nach einigen Staus um 22:30 Uhr im Leistungszentrum in Hoffenheim ein, war die Stimmung entsprechend geknickt.
„Die Jungs haben in beiden Spielen und in weiten Teilen der Saison herausragende Leistungen gezeigt und viele Momente erlebt, auf die sie stolz sein können“, wird Kuhn nicht müde, die tolle Entwicklung seines über die Jahre zusammengewachsenen und erfolgreichen Kaders zu unterstreichen. „Ja, in Wolfsburg war mehr drin, das macht es unterm Strich umso bitterer. Denn von den vielen Lobgesängen können sie sich leider nichts kaufen.“ Für den Rest der Woche hat Kuhn seinen Spielern freigegeben, um sich von den Strapazen der zurückliegenden Tage zu erholen und die Blessuren auszukurieren.
Und wie geht es dann weiter? „Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Jungs wieder aufzurichten und ihnen zu zeigen, wie sie diese bittere Erfahrung in Energie umwandeln können. Ab der kommenden Woche ist wieder Regelbetrieb, wir versuchen noch einen Testspielgegner für das Wochenende zu organisieren und danach bereiten wir uns auf die Sonderspielrunde vor.“ Hier ist die TSG als Süddeutscher Meister für die zweite Runde gesetzt – und könnte theoretisch erneut auf den VfL Wolfsburg treffen. Eventuell sind dann Leonard Krasniqi, Blessing Makanda und Marlon Faß nicht mehr dabei: Sie trainieren ab sofort in der U19 mit.