Philip Giesler: Als Videoanalyst über Umwege zurück in der NLZ-Welt
15 Partien in der Bundesliga Süd/Südwest absolvierte Philip Giesler – im Foto links bei der Arbeit als Videoanalyst zu sehen – einst für die U17 des SC Freiburg. Sechs Jahre, zwischen 2007 und 2013, war er als Junior für die Breisgauer aktiv, stand dabei unter anderem mit dem späteren Weltmeister Matthias Ginter auf dem Platz. Verletzungen erschwerten dann allerdings den Übergang in den Aktivenfußball. Der gebürtige Kinzigtäler berichtet von mehreren Schambeinentzündungen und einer Mittelfußverletzung, die ihn als B- und A-Junior immer wieder aus der Bahn warfen. „Ich war verletzt, bin wieder ins Training eingestiegen, das ging zwei, drei Wochen gut, ehe etwas Neues aufgetreten ist und ich wieder pausieren musste.“
Giesler wohnte seinerzeit noch in der Heimat, also in Haslach im Kinzigtal. Mit der Bahn war er täglich anderthalb Stunden unterwegs, um nach Freiburg ins Training zu fahren – und nach der Rückfahrt meistens erst um 22 oder 23 Uhr zu Hause. Als er mehr Zeit in der Reha als auf dem Platz verbrachte, zog er einen Schlussstrich unter seine hochklassigen Ambitionen – der Fußball wurde für ihn zunächst wieder zum reinen Hobby. Als Aktiver spielte er noch einige Jahre weiter und stieg mit dem SV Oberachern aus der Verbands- in die Oberliga auf, beendete aber mit Mitte 20 seine aktive Laufbahn – zugunsten seines Berufs als Videoanalyst.
Textilbetriebswirt mit abgeschlossenem BWL-Studium
Gleichwohl: Dass er mit dem leistungsorientierten Fußball verbunden bleiben wird, hatte für Giesler nicht immer zu 100 Prozent festgestanden. „Ich hatte mein halbes Leben in einem NLZ verbracht und bin Fußballer durch und durch. Nach dem Abitur und dem Ende meiner Zeit in Freiburg habe ich mich aber dennoch dazu entschieden, erst einmal einen anderen Weg einzuschlagen.“
Er absolvierte ein zweijähriges Studium zum Textilbetriebswirt und orientierte sich damit an den Berufen seiner Eltern, die in der Modebranche tätig sind und mehrere Fachgeschäfte führen. Giesler setzte noch ein BWL-Studium in Mannheim obendrauf, schloss dieses mit dem Bachelor ab. „Ich bin froh, dass ich mich zweigleisig aufgestellt habe. Aber: Der Wunsch, in den Fußball zurückzukehren, war irgendwann zu groß. Ich konnte das nicht mehr ignorieren.“
Umschulung am KIT, Youth League und HSV-Praktikum
Die Richtung für das „Comeback“ gab schlussendlich ein Interview von Lars Kornetka vor. Kornetka, heute Co-Trainer der österreichischen Nationalmannschaft, hatte in den ersten Bundesligajahren der TSG an der Seite von Ralf Rangnick gearbeitet. Als Giesler Kornetkas Ausführungen über den seinerzeit noch recht jungen Berufszweig des Spiel- und Videoanalysten las, war sein Interesse sofort geweckt – die Umschulung vom Modefachmann zum Fußballanalysten begann in diesem Moment.
Über sein Netzwerk als langjähriger Fußballer erhielt Giesler in der Folge die Möglichkeit, bei Dr. Dietmar Blicker am Institut für Sport und Sportwissenschaft am KIT in Karlsruhe zu hospitieren und dort die erste handwerkliche Basis im Bereich der Videoanalyse zu legen. Unter anderem ging es auch darum, mit Softwareprogrammen vertraut zu werden, die im Fußball in der Videoanalyse zum Einsatz kommen. Der nächste Schritt führte Giesler bereits nach Hoffenheim: Während der Youth-League-Saison 2018/19 wurde ein Praktikant im Bereich der Spiel- und Videoanalyse in der TSG-Akademie gesucht – und nachdem er sich mit seiner ein Jahr andauernden Arbeit am KIT bewährt hatte, erhielt er die Chance im Kraichgau. Er nutzte sie und brachte sich für seine spätere Festanstellung in Position – dazwischen lag noch ein Praktikum im Scouting des Hamburger SV.
Als sich Giesler und Danny Galm schon Jahre zuvor kennenlernten …
Seine erste feste Aufgabe in der TSG-Akademie trat Giesler im Jahr 2019 als Analyst der U17 an – er traf dabei auf Trainer Danny Galm (heute bei der U19 des FC Bayern), mit dem ihn eine Anekdote aus der Kindheit verband. „Mit 12 Jahren, kurz vor meinem Wechsel zum SC Freiburg, war ich mit meinen Eltern im Urlaub auf Gran Canaria. Danny war ebenfalls dort, er trug ein Trikot des VfB Stuttgart, für den er damals spielte, und wir haben ein bisschen zusammen gekickt. Er hat mir dann eine seiner Autogrammkarten gegeben, mit einer persönlichen Widmung: ,Philip, mach weiter so!‘ Die hatte ich tatsächlich noch, als er in Hoffenheim mein Vorgesetzter wurde. Ich habe die Karte dann mal mitgebracht, was natürlich für einige Lacher gesorgt hat.“
Für Giesler ging es nach einem Jahr bei der U17 weiter zur U19, zugleich übernahm er die Aufgabe als Koordinator der Akademie-Videoanalysten. „Ich bin unter anderem für die Einteilung der Filmer bei den Spielen der Akademie-Teams verantwortlich und stehe darüber hinaus in Kontakt mit dem Chef-Analysten bei den Profis, Timo Gross, der früher selbst in der Akademie tätig war.“
Arbeitsalltag: Fußball schauen und Fristen einhalten
Den größten Schwerpunkt macht die Arbeit als Analyst der U19 aus. Die verschiedenen Aufgaben, die an diese Tätigkeit geknüpft sind, geben einen Rhythmus vor. „Meine Arbeitswoche ist immer geprägt von Fristen, die ich einhalten muss“, erläutert der 28-Jährige. Das Pflichtprogramm eines Spiel- und Videoanalysten liest sich dann in etwa so: Zunächst muss die Partie vom vergangenen Wochenende nachgearbeitet werden. Es folgen die Vorbereitung auf den kommenden Gegner und im Anschluss Besprechungen mit der Mannschaft – allesamt Termine, die mit Videosequenzen untermauert werden. Die verschiedenen Clips wiederum stellt Giesler zusammen – und bereitet zudem die individuellen Videoanalysen mit allen Akteuren vor, die am vorangegangenen Spieltag zum Einsatz gekommen sind. Dabei übernimmt er auch mehrere Einzelgespräche mit den Spielern selbst.
Viel Arbeitszeit verbringt Giesler vor dem Bildschirm und schaut Fußball. Ein Beispiel: Bis die U19 zumeist an einem Samstag auf einen Gegner trifft, hat er sich in der Regel vier Partien über die vollen 90 Minuten von diesem angesehen und entsprechende Erkenntnisse über die Grundordnung, die Stärken, aber auch mögliche Schwächen gewonnen. Seine Wahrnehmungen stellt er im Trainerteam vor, gemeinsam wird dann am Plan für die anstehende Partie gearbeitet. „Die Diskussionen können auch mal kontrovers sein. Letztlich kennen wir alle aber unseren grundsätzlichen Plan in- und auswendig, das ist ein großer Vorteil, auch für meine Arbeit. Am Ende ist es dann die Aufgabe des Cheftrainers zu entscheiden, wie wir das Spiel angehen.“
Was nicht bedeutet, dass Giesler während einer Partie nichts mehr zu tun hat, ganz im Gegenteil. Wieder ein Beispiel: „Es kommt natürlich auch mal vor, dass ein Gegner sich anders aufstellt als wir es vermutet haben. Dann ist es meine Aufgabe, noch während des Spiels Szenen herauszuarbeiten und an das Trainerteam weiterzuleiten, anhand derer wir unseren Plan anpassen können. Das ist eine qualitativ und quantitativ anspruchsvolle Aufgabe während der 90 Minuten. Nach einer Partie bin ich daher oftmals auch erstmal erledigt und brauche eine kurze Pause.“ Die aber nicht allzu lange ausfällt – die nächste Gegneranalyse wartet schließlich bereits …
Tennis als Ausgleich
„Nachdem ich selbst Spieler in der Junioren-Bundesliga war, hat sich für mich ein Kreis geschlossen. Es ist aber etwas komplett anderes, selbst zu spielen oder aber mit einem Trainerteam zusammenzuarbeiten, also auf der anderen Seite zu stehen.“ Die Erfahrungen, die er als Freiburger Junior gesammelt hat, helfen Giesler aber natürlich und erleichtern es ihm, sich in die Spieler, mit denen er Szenen analysiert, hineinzuversetzen.
An seinem Beruf schätzt Giesler daneben insbesondere den Austausch mit den Trainerkollegen. Zusammengearbeitet hat er in Hoffenheim bisher mit den Chefcoaches Galm sowie in der U19 mit Marcel Rapp, Marc Kienle und aktuell Stephan Lerch. „Wenn du täglich mit Toptrainern zu tun hast, erweitert das automatisch deinen Horizont. Daraus ziehe ich auch das größte Learning für meine Arbeit.“
Und nicht nur das: Für Giesler, der mit seiner Frau, die er während des Studiums kennengelernt hat, in Heidelberg-Ziegelhausen wohnt, sind in Hoffenheim auch richtige Freundschaften entstanden. Insbesondere mit U19-Torwarttrainer Philipp Birker und Christian Mollocher (einst U19-Co-Trainer, mittlerweile Assistent bei der U23) verbringt Giesler abseits des Fußballplatzes viel Zeit. „Wir haben Tennis als zweiten Sport für uns entdeckt, gehen öfters spielen.“ Momente, in denen der Spiel- und Videoanalyst mal nicht an Fußball denkt.