Hübner: „Ich vermisse es schon jetzt“
Benni, am Ende steht Dein Satz: „Es geht nicht mehr.“ Wie und wann kam es zu Deiner Entscheidung, Deine Karriere sofort zu beenden?
„Ich habe mich irgendwie immer wieder zurückgekämpft, das ist extrem intensiv, wahnsinnig viel Arbeit. Aber ich hatte es wieder geschafft, die ganze Vorbereitung im Sommer, jede einzelne Einheit mitgemacht. Es ist bitter, dass ich mich dann im Pokal, in so einem miserablen Kick, so schwer am Sprunggelenk verletzte. Es kam dann so schnell keine Besserung und irgendwann fragst du nach dem Sinn. Du siehst dein Alter, die vielen Rückschläge und dann ist es irgendwann nur noch Quälerei.“
Der Spaß ist weg. Wie schwer war es, die finale Entscheidung zu treffen?
„Fußballspieler ist wirklich der schönste Beruf, den ich mir vorstellen kann. Aber wenn du nicht spielen kannst, ist ganz schnell exakt das Gegenteil der Fall. Wenn du nur noch hinterherläufst und verzweifelt versuchst, dich wieder heranzukämpfen, dann fängst du an, diesen Beruf zu hassen. Mit der erneuten Verletzung meines Sprunggelenks war es das erste Mal so richtig der Fall, dass ich mich im Innersten gefragt habe, wie viel Sinn das noch macht. Und wenn dieser Prozess erstmal gestartet ist oder diese Gedanken kommen, dann muss man sie wahrscheinlich auch zulassen. Dann geht irgendwann der letzte Biss verloren.“
Das versteht wohl jeder angesichts Deiner schier unglaublichen Leidensgeschichte.
„Ich konnte in den vergangenen zweieinhalb Jahren sieben Spiele bestreiten. Sieben! Wenn du das so siehst, glaube ich, dass jeder auch die Entscheidung noch besser verstehen kann. Denn wenn du so sehr leiden musst, dann macht kein Beruf oder keine Sache der Welt Spaß. Ich wollte immer in der Lage sein, meine Bestleistung zu bringen, das ging einfach körperlich nicht mehr – und ich will halt nicht irgendjemand sein in einer Mannschaft, nicht nur mitschwimmen, sondern mit Leistung vorangehen.“
Wie ein echter Kapitän.
„Ich war sehr gern Kapitän und Führungsspieler. Ich weiß, dass es für viele wichtig war, wenn ich in der Kabine war und auch noch mehr auf dem Platz. Ohne diese Rolle wäre die Entscheidung für den Rücktritt vielleicht sogar schon früher gefallen – man versucht, als Kapitän da zu sein, voranzugehen, Leistung zu zeigen. Aber wenn du es verletzungsbedingt nicht mehr so vorleben kannst, macht es das nicht leichter.“
Gab es diesen einen Moment, als Du wach wurdest und der Entschluss stand? Oder wie muss man sich das vorstellen?
„Das war eher ein Prozess. Diese einzelnen dunklen Tage, die gab es auch davor, etwa bei der ersten großen Verletzung im August 2018, als ich mir im Training die Gehirnerschütterung zuzog. Da wusste ich gar nicht, wie es weitergeht, war lange raus und es war die Frage, ob ich es überhaupt schaffe. Aber da habe ich die Frage anders beantwortet und kam zurück. Aber jetzt ergibt es halt keinen Sinn.“
Gab es auch einen Moment nach der Entscheidung, in dem Du Erleichterung verspürtest?
„Als ich das Büro von Alex (Sportdirektor Rosen; d. Red.) verlassen hatte, ist schon ein Stück weit Druck abgefallen. Alex war und ist immer eine wichtige Bezugsperson für mich gewesen. Aber es hat natürlich plötzlich einen offiziellen Charakter bekommen, wenn du es deinem Arbeitgeber mitteilst. Diesen Druck nimmst du gar nicht so wahr, wenn du im Hamsterrad drinsteckst, aber den du im Leistungssport die ganze Zeit hast. Mich hat er eigentlich immer angespornt, aber du merkt erst, wenn du da mal rauskommst, wie leicht es sich anfühlt und was da eigentlich doch alles auf dir lastet.“
Wie hat Dein Umfeld auf die Entscheidung reagiert?
„Meine Freundin Paula war immer eingeweiht und hat mich bestärkt. Sie weiß jeden Tag, wie es mir geht. Sie ist ein echter Schatz, war mir auch in dieser Phase eine große Stütze. Familie und Freunden hatte ich es schon mal angedeutet. Die meisten waren weniger begeistert, aber wenn es um die Gesundheit geht, dann haben alle schon Verständnis. Sie hätten mich gern noch mal spielen sehen. Die erste Reaktion war: ‚Willst du es wirklich nicht noch mal probieren? Du hast es schon so oft geschafft.‘ Und da habe ich gesagt: ‚Leute, es fällt mir auch nicht leicht, aber ich weiß, was ich da tue und es ist die sinnvollste Entscheidung.‘ Es gibt halt auch noch ein Leben nach der Spielerkarriere.“
Du hast es auch selbst vor der Mannschaft verkündet, bevor es offiziell gemacht wurde.
„Das war mir enorm wichtig. Ich wollte, dass es alle Jungs von mir erfahren und nicht aus den Medien. Es war dann schon emotional, mit vielen Spielern habe ich ja auch einen langen gemeinsamen Weg beschritten. Ich bin auch nach wie vor mit ihnen in Kontakt, es ist kein Abschied für die Ewigkeit und ich will auch, dass das von allen so gesehen wird.“
Und wie ist das Gefühl nun, keine Ewigkeit, sondern nur sechs Wochen später?
(lacht) „Sehr gemischt. Wenn ich die ganzen Bilder hier auf dem Tisch sehe, fällt es mir zum Beispiel wieder sehr schwer. Wenn ich die Jungs spielen sehe auf dem Platz, dann wird es noch einmal härter. Da muss ich mich erstmal dran gewöhnen. In der Vorbereitung hält sich der Schmerz in Grenzen, auch wenn ich gern gewusst hätte, was der Kevin (Vogt; d. Red.) ohne mich da im Trainingslager anfängt. Ich bin ja immer noch in manchen Whats- App-Gruppen und Verteilern, und wenn ich die Trainingspläne sehe oder die Nachricht ‚Morgen Laktattest‘ bekomme, dann fällt es leichter. (lacht) Am Ende bin ich glücklich, doch eine relativ ordentliche Karriere gehabt zu haben und schaue mit einer gewissen Vorfreude auf das, was noch kommt.“
Kann man so kurz danach schon die eigene Karriere bilanzieren?
„Ich hatte nicht den klassischen Werdegang eines Talents, das in einem Nachwuchsleistungszentrum reinwächst. Ich musste die Hälfte der Karriere unterklassig Steine kloppen. (lacht) Den Gedanken ‚Was wäre noch möglich gewesen‘ schiebe ich beiseite. Ich bin einfach nur glücklich über das, was ich erleben durfte und wenn du mir vor dreißig Jahren erzählt hättest, dass da mal so ein Bild entsteht mit dem Wimpel in der Hand und dem Champions-League-Logo auf dem Trikot, dann weiß ich nicht, ob und was ich mir hätte mehr wünschen können.“
Was wirst Du an der aktiven Karriere am meisten missen?
„An erster Stelle die Kabine, die Jungs, das Zusammenleben mit ihnen. Dann auf jeden Fall auch den Wettkampf am Wochenende, das ist der größte Antrieb. Dieses Gefühl in der Kabine, wenn du gewonnen hast: Das ist einfach das Größte, unbeschreiblich. Ich vermisse es schon jetzt. Und übrigens auch das Gefühl, dass ich am meisten gehasst habe: verloren zu haben. Sogar das kann man tatsächlich vermissen.“ (lacht)
Hattest Du schon Momente der Unsicherheit gespürt, wie es jetzt weitergeht?
„Ich habe keine Angst vor dem, was kommt. Zukunftsangst, auch Existenzangst, hatte ich vielleicht am Anfang meiner Karriere. Ich glaube, dass ich Fähigkeiten habe, die mich auch außerhalb des Platzes in eine gute Position bringen können. Ich habe auch schon nebenbei ein Studium, also das Zertifikat für Sportmanagement bei der UEFA, gemacht. Sowas könnte ich mir grundsätzlich vorstellen.“
Du sollst zukünftig auch bei der TSG eingebunden werden.
„Es ist auf jeden Fall geplant, dass ich im Verein eine Position übernehmen werde. Wir sind im engen Austausch und auf einem sehr guten Weg. Wie genau das dann aussehen wird und ab wann, das werden wir sehen. Ich könnte mir auch vorstellen, in nächster Zeit irgendwo zu hospitieren und Erfahrung zu sammeln. Ich möchte eigentlich zusätzlich noch einen Trainerschein machen, um auch das für mich kennenzulernen. Ich möchte im Fußball bleiben, einfach weil ich das Knowhow habe, die Verbindungen und weil es mir extrem Spaß macht. Fußball war schon immer mein Leben. Deshalb macht es für mich Sinn, im Fußball zu bleiben – aber ob das jetzt als Trainer sein wird, im Sportmanagement oder als Platzwart, das weiß ich noch nicht.“
Was sind die ersten Dinge, die Du nach Deinem Karriereende machen möchtest, auf die Du bisher verzichtet hattest?
„Das erste Ereignis habe ich schon verpasst, ich hätte eigentlich gern die Darts-WM im Londoner Ally Pally erlebt. Ich plane jetzt auch, Freunde zu besuchen, Ex-Mitspieler wie Pascal Groß, der bei Brighton spielt. Da könnte ich mal ein paar Tage in England verbringen, an einem freien Wochenende, das es vorher für mich nicht gab. Es ist, so bescheuert das klingen mag, schon cool, wenn du spontan einfach mal irgendwo zusagen kannst, es möglich ist, an einem Wochenende zu feiern, zu Geburtstagen von Freunden oder in der Familie zu gehen. Kurios ist, dass ich – wenn ich Pascal Groß besuche – dann das erste Mal seit langem ein Wochenende wieder im Stadion verbringen werde.“