Davie Selke: Vom Hitzkopf zum Bundesliga-Profi
Im Interview spricht Selke über diese Zeit, seinen schönsten Moment im Hoffenheimer Trikot, seinen Entdecker, mit dem er noch heute Kontakt hat und seinen persönlichen Antrieb, es als Bundesliga-Profi immer wieder allen beweisen zu wollen.
Davie, es sind ein paar Jahre vergangen seit Deiner Zeit in der TSG-Akademie zwischen Juli 2009 und Januar 2013. Wenn Du daran zurückdenkst: Welche Gedanken kommen Dir in den Sinn?
Ich denke gerne an viele schöne Dinge zurück, die ich damals erlebt habe. Angefangen hat alles mit der Chance, die mir Frank Fröhling gegeben hat, als er mich in die U15 geholt hat. Dann muss ich an meine Gasteltern denken, Werner und Annette, bei denen ich in Daisbach gelebt habe. Sie haben mich super aufgenommen. Ich habe mich dort von Beginn an wohl gefühlt, und wir haben auch heute noch Kontakt. Außerdem an weitere Trainer und Personen aus dem Sportlichen Bereich, die für meine Entwicklung wichtig waren.
Bis zu Deinem Wechsel nach Hoffenheim im Sommer 2009 in die U15 hattest Du schon einige Wechsel hinter dir. In Hoffenheim bist Du dann dreieinhalb Jahre geblieben. Warum war der Schritt in unsere Akademie damals für Dich der richtige?
Es stimmt, ich habe als Kind und Jugendlicher oft den Verein gewechselt, da ich meinem damaligen Jugendtrainer immer zu dessen neuen Vereinen gefolgt bin. Im Jahr 2009 hatte ich bei Normannia Gmünd gespielt, als mir Frank Fröhling als U15-Trainer die Chance gegeben hat, nach Hoffenheim zu wechseln. Frank war sicherlich eine der wichtigsten Personen für mich, wenn nicht sogar die wichtigste für meine weitere Entwicklung, da er mich entdeckt hat. In seiner Art war er sehr empathisch. Ich kann mich noch an unser erstes Treffen erinnern in Zuzenhausen, wo damals das NLZ stand. Frank hat mir aufgezeigt, wohin mein Weg führen kann. Natürlich war das alles noch sehr weit weg, aber er hat mir verdeutlicht, dass er etwas in mir sieht, ich aber noch sehr viel arbeiten muss.
Gibt es noch weitere wichtige Personen, die Dich damals begleitet haben?
Aus meiner Familie war mein Großvater im Fußball die wichtigste Bezugsperson. Er hat mich zu jedem Spiel begleitet, ist selbst sehr fußballverrückt und hat mit mir meine Spiele analysiert. Das hat mir sehr geholfen. Er lebt mittlerweile in Spanien und verfolgt meinen Weg von dort aus weiter.
Und in der TSG-Akademie?
Neben Frank Fröhling waren das für mich Thomas Krücken, der mich in der U19 trainiert hat, und Alexander Rosen, der sich als NLZ-Leiter damals sehr viel mit mir auseinandergesetzt hat. Alex leistet überragende Arbeit in Hoffenheim. Für mich ist er einer der Top-drei-Manager in der Fußball-Bundesliga, wenn man sieht, welche Transfers er immer wieder realisiert und wie die Spieler dann in Hoffenheim einschlagen. Ich finde, dass das in der öffentlichen Wahrnehmung immer etwas zu kurz kommt.
Welche Kontakte bestehen noch zu früheren Mitspielern, mit denen Du in Hoffenheim auf dem Platz standest?
Da gibt es einige, hervorheben muss ich aber „Niki“ Süle. Wir sind Freunde geworden. Geografisch haben wir immer an sehr unterschiedlichen Orten gelebt, wir freuen uns aber immer, wenn wir uns sehen. Das ist in der Bundesliga ja meistens zwei Mal im Jahr der Fall. Wir waren damals Nachbarn im Internat und haben dementsprechend viel miteinander unternommen. Das war eine sehr lustige Zeit.
Gibt es den einen sportlichen Moment im Hoffenheimer Trikot, der Dir in Erinnerung geblieben ist?
Ja, den gibt es. Im Jahr 2012, als ich eigentlich noch in der U17 gespielt habe, wurde ich für die letzten Spiele hochgezogen. Alex Rosen hatte damals vor dem letzten Spieltag als Interimstrainer übernommen. Die U19 war in der Bundesliga in den Abstiegskampf geraten. Wir hatten das entscheidende Spiel am letzten Spieltag gegen 1860 München, das wir unbedingt gewinnen mussten. Das ist uns mit einem 4:0 zum Glück gelungen. Ich durfte als Einwechselspieler mitwirken und habe auch ein Tor erzielt, nach einer Flanke von Ömer Yıldırım. Als U17-Spieler da mitmachen zu dürfen, das war damals für mich schon etwas Besonderes. Dieses Erlebnis hat uns als Mannschaft richtig zusammengeschweißt. Dazu die Stimmung bei dem Spiel im Dietmar-Hopp-Stadion – das war definitiv der schönste Moment meiner Zeit in Hoffenheim.
Wir haben zwei langjährige Mitarbeiter aus der Administration der TSG-Akademie, die Dich damals kennengelernt haben, gebeten, Dich zu beschreiben. Die erste Charakterisierung lautet: selbstbewusst ohne Ende, ein lockeres, aber nie loses Mundwerk, und deswegen sympathisch. Und die zweite: Immer viele Flausen im Kopf, aber auf dem Platz immer mit 100 Prozent Einsatz, und zudem jeden Abend um 21.30 Uhr im Bett. Bist Du damit einverstanden?
(lacht) Stimmt beides. Vielleicht bis auf die Uhrzeit. Aber das kann man ruhig so stehen lassen. Da komme ich doch recht gut weg.
Letztlich hast Du dir diese freche Art im Lauf Deiner Karriere als Profifußballer bewahrt. Das war sicherlich nicht immer leicht.
Mir ist bewusst, dass ich mit meiner Art auf dem Platz polarisiere. Ich war aber schon immer so und werde auch immer so bleiben. Ich stelle nichts dar, sondern bin einfach so wie ich bin. Auf dem Platz tue ich immer alles für das Team und für den Erfolg. Mit meiner Art ecke ich dabei manchmal an.
Du hattest diesen Ruf auch schon zu deiner Zeit in Hoffenheim, als Du in den Junioren-Bundesligen im TSG-Trikot 25 Treffer in 38 Partien erzielt hast, aber auch als „Hitzkopf“ bekannt warst – eine Bezeichnung, die Du dir in einem Interview für einen YouTube-Channel auch selbst mal gegeben hast, und zwar explizit bezogen auf Deine Zeit als Jugendfußballer. Wie denkst Du daran mit ein paar Jahren Abstand zurück?
Ich war damals sicherlich noch emotionaler als ich jetzt immer noch bin. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Typ, daran hat sich nie etwas geändert. Mittlerweile kann ich diese Emotionen aber besser kanalisieren. Die Trainer in Hoffenheim hatten es nicht immer leicht mit mir. So etwas wird einem aber oft auch erst später bewusst. Ich bin bestimmt ein paar Mal zu oft angeeckt.
Um Profi zu werden, braucht es sowohl Talent als auch Ehrgeiz und Einsatzbereitschaft. Was hat bei dir Deiner Meinung nach mehr den Ausschlag gegeben, dass Du es geschafft hast?
Das ist eine gute Frage, weil sie im Nachhinein schwierig zu beantworten ist. Ich bin aber davon überzeugt, dass es in meiner Altersklasse sehr viele Jungs gab, die mehr Talent mitgebracht haben als ich. Bei mir war der Wille sehr ausgeprägt. Ich denke auch, dass ich es deswegen geschafft habe, nach der Jugendzeit oben durchzubrechen.
Du bist in diesem Jahr erstmals Vater geworden. Inwiefern nimmt der neue Lebensabschnitt als Papa einer kleinen Tochter Einfluss auf Dich und vielleicht auch auf Deine Emotionen?
Privat hat das definitiv eine große Wirkung. Das Gefühl, Vater einer Tochter zu sein, gibt mir sehr viel und macht mich auch weich – neben dem Platz. Auf dem Platz wird sich deswegen aber nichts ändern, da werde ich so bleiben wie ich bin.
Im Januar 2013 hast Du die TSG-Akademie verlassen und bist zu Werder Bremen gewechselt. Wie blickst Du heute auf diesen Wechsel zurück?
Ich hatte damals sehr viele Optionen und habe mich für einen anderen Weg entschieden. Ich wäre ihn gerne auch in Hoffenheim gegangen, eben weil ich in der Jugend eine so schöne Zeit bei der TSG hatte. Es ist leider nicht zustande gekommen. Als Alex Rosen wenige Monate nach meinem Wechsel in Hoffenheim aus der Akademie zum Leiter Profifußball aufgestiegen ist, habe ich mir kurzzeitig meine Gedanken gemacht. Alex war, wie bereits erwähnt, ein Förderer von mir. Aber ich habe die Entscheidung damals so getroffen und stehe dazu natürlich auch weiterhin.
Die Zeit in der TSG-Akademie hat Dir das Rüstzeug für die spätere Karriere als Profi mitgegeben. Du hast für Werder Bremen und RB Leipzig gespielt und bist aktuell für Hertha BSC aktiv – und könntest in der Saison 2022/23 dein 200. Bundesligaspiel absolvieren. Wie würdest Du deine bisherige Karriere zusammenfassen?
Die Marke von 200 Bundesliga-Spielen ist für mich aussagekräftig, denn 200 Spiele in der Bundesliga absolviert man nicht mal so eben. Ich hatte bisher viele Höhepunkte in meiner Karriere, aber auch Tiefschläge, die mich als Person geformt haben. Bis auf die A-Nationalmannschaft und Champions League habe ich eigentlich alles erlebt. Ich werde meinen Weg weitergehen und auch weiterhin gegen jeden Widerstand ankämpfen. Viele Kritiker vergessen oft, wo ich mal war, was zum Beispiel meine Torausbeute betrifft. Genau da will ich wieder hinkommen, dafür arbeite ich jeden Tag. Wenn ich überlege, dass ich früher in Hoffenheim „Vedo“ (Vedad Ibišević, Anm. d. Red.) die Bälle als Balljunge zugeworfen habe und mich dann später mit ihm auf dem Platz duelliert habe, macht mich das demütig und stolz. Aber meine Zeit ist noch lange nicht zu Ende.
Wie sehen Deine weiteren Ziele im Profifußball aus?
Mich motiviert das schnelllebige Geschäft. Man ist immer nur so gut wie die letzte Saison oder das letzte Spiel. Deswegen kann es auch wieder schnell gehen. Ich lebe von einem guten mannschaftlichen Konstrukt und vom Vertrauen des Trainers. Dann komme ich zu meinen Abschlüssen und Toren, so wie gegen Ende der vergangenen Saison. Ich weiß, wie schnell es im Fußball geht. Man kann sich einen Lauf erarbeiten.
Was gibst Du jungen Spielern mit auf den Weg, wenn sie Dich fragen, wie man es schafft, sich im Profifußball zu etablieren?
In erster Linie, dass sie die Gier haben und es unbedingt wollen müssen. Unbedingt wollen bedeutet Verzicht. Verzicht bedeutet, alles für seinen Traum zu tun und Dinge, die für andere Jugendliche normal sind, bleiben zu lassen. Nur die Jungs, die diese Gier mitbringen, können es am Ende schaffen – es sei denn, man ist mit einem derartigen Talent gesegnet, dass es auch mit weniger Einsatz reicht, was aber nur für ganz wenige Spieler gilt. Darauf kann sich also niemand verlassen. Die Bundesliga wird immer schneller, die Anforderungen werden immer höher. Deswegen kann man es nur schaffen, wenn man diesem Ziel alles andere unterordnet. Und dann gehört auch noch eine Portion Glück dazu. Aber wenn das Glück kommt, sprich, wenn sich die Chance bietet, Bundesliga zu spielen, muss man als junger Spieler da sein. Und das schafft man nur, wenn man sich über Jahre darauf vorbereitet hat.
Wenn der 27-jährige Davie Selke den jungen Davie treffen könnte, der im Jahr 2009 gerade in die U15 nach Hoffenheim in die TSG-Akademie gewechselt ist: Welche Ratschläge würde er ihm geben?
Ich würde ihm mit dem heutigen Wissen sicherlich einige Ratschläge geben können, aber da ich den jungen Davie kenne, würde es sicherlich schwierig werden, da durchzudringen. Von daher würde ich ihm wahrscheinlich sagen: Mach‘ es einfach so, wie du es für richtig hältst.
Und daran anknüpfend: Hätte der 27-jährige Davie etwas anders gemacht in seiner Karriere?
Nein.
ZUR PERSON
Davie Selke (27) wurde am 20. Januar 1995 in Schorndorf bei Stuttgart geboren. Sein Vater stammt aus Äthiopien, seine Mutter aus der Tschechischen Republik. Nach insgesamt sieben Stationen in und um Stuttgart bis zum Jahr 2009 schloss er sich der U15 der TSG Hoffenheim an und durchlief bis zur U19 die Ausbildung in der TSG-Akademie. In der U17-Bundesliga traf Selke zwölf Mal in 19 Spielen, in der U19-Bundesliga waren es 13 Treffer in 19 Partien.
Im Januar 2013 wechselte Selke zum SV Werder Bremen, wo er Bundesliga-Profi wurde. Nach einer Station bei RB Leipzig (2015 bis 2017) steht der 1,95 Meter große Angreifer seit Sommer 2017 bei Hertha BSC unter Vertrag (unterbrochen durch eine Leihe zum SV Werder Bremen zwischen Januar 2020 und Juni 2021). Nach der Saison 2021/22 stand Selke bei 189 Bundesliga-Einsätzen und 34 Treffern im Fußball-Oberhaus.
Darüber hinaus feierte Selke auch Erfolge im Nationaltrikot. Er kam von der U16 an in jeder DFB-Nachwuchsauswahl zum Einsatz und wurde sowohl mit der U19 als auch mit der U21 Europameister. Zudem gewann er beim Olympischen Fußballturnier in Rio de Janeiro mit dem deutschen Team die Silbermedaille.