Luca Philipp: Der "Alman", der nie zweifelte
Es gibt Talente, deren Weg vorbestimmt zu sein scheint. Die schon immer besser als ihre Mit- und Gegenspieler waren und über die es heißt, dass sie sicher irgendwann ganz oben ankommen werden. Und es gibt Spieler, die müssen sich ihren Weg hart erarbeiten, mit Rückschlägen umgehen und daraus neue Kraft ziehen. Es ist der steinigere Weg, aber auch einer, der prägt. Diesen Weg ist Luca Philipp gegangen, der im Profiteam der TSG hoch angesehen und in dieser Saison deutscher U21-Nationaltorwart geworden ist.
Bevor Philipp vor achteinhalb Jahren ein TSG-Spieler wurde, stand er im Tor der D-Junioren des SGV Freiberg. Dass er Talent hatte, wusste er zwar. Doch wozu das führen könnte, darüber machte sich der Torhüter keine Gedanken. „Mir ging es damals nur um den Spaß am Fußball“, erinnert sich Philipp an seine Freiberger Zeit. Sein Torwarttrainer war ein Bekannter des heutigen Koordinators Torwartspiel der TSG, Michael Rechner, der damals noch für die Keeper der U19 zuständig war. Er empfahl Rechner, Philipp doch mal für ein Probetraining zur TSG einzuladen.
Im Sommer 2013 folgte der Wechsel in die Hoffenheimer U14. „Da habe ich schon gemerkt, dass die Qualität noch mal eine ganz andere als in Freiberg ist und ich zulegen muss“, erinnert sich Philipp. Auf seine Einsätze kam er in der U14 und U15 dennoch. Der gebürtige Stuttgarter, der damals mit seiner Familie in Rutesheim wohnte, konnte sich so auch immer für einen Wechsel in die nächste Altersklasse empfehlen.
Im Training stets den Schalter umgelegt
Als Toptalent galt Philipp jedoch nicht. In der U16 und U17 war er zumindest immer mal wieder zum Einsatz gekommen, in der U19 wurde es dann wirklich schwierig für ihn. In zwei Jahren standen gerade einmal sieben Pflichtspieleinsätze zu Buche. „Es war schon hart, Wochenende für Wochenende nur auf der Bank zu sitzen. Vor allem, wenn ich eigentlich das Gefühl hatte, gut trainiert zu haben. Gezweifelt habe ich aber nie an mir.“
Philipp fand einen Weg, mit seinem Frust umzugehen und ihn zu kanalisieren. „Auf dem Trainingsplatz konnte ich immer den Schalter umlegen und mit Spaß dabei sein. Sicherlich hat es geholfen, dass ich in der Mannschaft viele Freunde hatte und einfach gerne mit ihnen zusammen war. Auch die Stimmung innerhalb unserer Torwartgruppe war immer positiv und motivierend.“
Überhaupt nennt Philipp den Einfluss seiner Akademie-Torwarttrainer Dominik Weber, Dennis Neudahm und Fabian Otte über die Jahre als wichtigen Faktor für seine Mentalität und Entwicklung. „Vor allem zu Dome Weber, unter dem ich in der U16 und U19 trainiert habe, hatte ich ein besonderes Verhältnis. Er war ein enger Vertrauter und hat mir immer bestätigt, dass ich auf einem guten Weg bin.“
Beliebt bei Teamkollegen
Und wenn Philipp dann doch mal gefordert war, zeigte er, was in ihm steckte. So etwa bei dem renommierten U19-Hallencup in Sindelfingen im Januar 2018, als die TSG auch dank seiner Paraden bis ins Finale kam. „Das war ein cooles Erlebnis. In der engen Halle konnte ich meine Stärken im Eins-gegen-Eins ausspielen. Aber ich konnte mich generell darauf verlassen, dass ich gleich da war, wenn ich gebraucht wurde.“
Obwohl er sportlich nicht immer die tragende Rolle spielte, war Philipp in der U19 anerkannt und wichtig. Gerade weil er trotz seines Frusts nicht zum Stinkstiefel wurde, sondern sogar gute Laune im Training verbreitete. Selbst mit seinen direkten Konkurrenten verstand sich Philipp bestens. Vor allem mit der etatmäßigen Nummer eins, Stefan Drljača, der heute in der Dritten Liga bei Borussia Dortmund II im Tor steht. „Drille ist in der Zeit ein richtig guter Freund geworden. Obwohl wir Konkurrenten waren, hat er mich immer sehr unterstützt.“
Auch bei seinen anderen Mitspielern war Philipp beliebt. Von Ilay Elmkies, den er ebenfalls bis heute zu seinen engsten Freunden zählt, und Christoph Baumgartner bekam er in der U19 den Spitznahmen „Alman“ verpasst. Ein Begriff, der damals Einzug in die Jugendsprache erhalten hatte und angeblich typisch deutsches Verhalten aufs Korn nahm. Der Name hält sich bis heute. Auch im Profiteam wird Philipp von jedem „Alman“ genannt.
Mit Hübner, Rudy und Co. am Tisch
Die guten Eindrücke, die Philipp in seinen Einsätzen hinterließ, sowie die sportliche, persönliche und auch körperliche Entwicklung führten schließlich dazu, dass er nach der U19 und seinem Abitur am Sinsheimer Wilhelmi-Gymnasium zur Saison 2019/20 nicht nur in die U23 übernommen wurde, sondern in die Rückrunde sogar als Nummer eins gehen sollte. Endlich mal. Doch nach zwei Regionalliga-Einsätzen im Jahr 2020 kam die Corona-Zwangspause.
In dieser durfte die U23 zunächst nicht einmal mehr trainieren und auch den Profis war es vorerst nur gestattet, in Kleingruppen auf den Trainingsplatz zu gehen. Für Philipp bot diese Einschränkung jedoch eine Chance, denn Profi-Torwarttrainer Michael Rechner erweiterte seine Trainingsgruppe und zog auch Philipp für die Einheiten mit Oliver Baumann und Co. hoch. „In meiner Akademie-Zeit habe ich mich kontinuierlich gesteigert. Aber durch das regelmäßige Training bei den Profis habe ich den größten Sprung in meiner bisherigen Entwicklung gemacht“, sagt der Nachwuchskeeper.
Der Lohn für die starken Trainingsleistungen: Zur Saison 2020/21 wurde Philipp als dritter Torwart hinter Baumann und Philipp Pentke fest in den Profikader aufgenommen. Mit starken Leistungen im Training und bei der U23 in der Regionalliga Südwest machte das Torhütertalent weiter auf sich aufmerksam und verschaffte sich auch bei den Profis Akzeptanz. Mittlerweile ist „der Alman“ dort voll und ganz integriert. So sitzt er etwa als einziger Jungprofi am Tisch der erfahrenen Spieler um Kevin Vogt, Sebastian Rudy oder Benjamin Hübner.
Länderspieldebüt in der U21
Auch beim DFB konnte Philipp schon überzeugen. Nachdem der 21-Jährige zuvor nur in der U17 an zwei Trainingslehrgängen teilnehmen durfte, wurde er zu Beginn der Saison vom Torwarttrainer der deutschen U21, Klaus Thomforde, beobachtet und im September für die EM-Qualifikationsspiele gegen San Marino und Lettland berufen. Gegen die Letten feierte er dann auch sein Länderspieldebüt. Mittlerweile kommt Philipp auf vier U21-Länderspiele und stand auch in den wichtigsten Partien der EM-Qualifikation gegen Israel und Polen zwischen den Pfosten.
Überzeugt von Philipps Fähigkeiten ist man aber natürlich auch und erst recht bei der TSG. Auf seinen Keeper angesprochen, geriet Profi-Chefcoach Sebastian Hoeneß auf einer Pressekonferenz fast schon ins Schwärmen: „Ich habe selten so eine rasante Entwicklung im Torhüterbereich gesehen. Luca ist extrem lernwillig, fleißig und talentiert.“
Auch Torwarttrainer Michael Rechner ist von seinem Schützling überzeugt: „Luca ist aus meiner Sicht ein klassischer Spätentwickler, der sehr spät im Jahr geboren und deshalb erst in der jüngeren Vergangenheit richtig durchgestartet ist. Aber Luca ist sehr intelligent und lernfähig und nutzt nahezu alle Möglichkeiten, die ihm der Klub bietet, um sich weiterzubringen. Nicht nur im torwartspezifischen, sondern auch am athletischen und mentalen Bereich.“ Solch lobende Worte hört man nicht allzu oft über einen 21-Jährigen. Doch die Gefahr abzuheben, besteht bei Philipp nicht. „Ich weiß, dass ich noch nichts Großes erreicht habe und dass es auch ganz schnell wieder in die andere Richtung gehen kann“, sagt er.
Bruder Tim steht bei U17 im Tor
Eines hat Philipp aber doch schon bewiesen: dass man mit Durchhaltevermögen, harter Arbeit und unerschütterlichem Glauben an sich selbst sein Ziel erreichen kann. Entsprechend aussagekräftig sind auch die Worte, die Philipp an die aktuellen Akademie-Talente richtet, die vielleicht ebenfalls mal mit ihrer Spielzeit hadern: „Geht Tag für Tag an euer Leistungslimit. Das Training ist euer Spiel. Verliert dabei nie den Spaß, glaubt an eure Stärken und gebt nicht zu schnell auf. Ihr müsst immer vorbereitet sein für den Tag X. Denn an dem müsst ihr dann voll da sein.“
Wenn es darum geht, sich nicht unterkriegen zu lassen, ist Luca Philipp ein Vorbild für die Akademie-Spieler von heute. Für seinen Bruder Tim ist er das sicherlich schon länger. Der hütet das Tor der TSG-U17 und hat in der Hinrunde die meisten Spiele des U17-Torhütertrios absolviert. Noch in der Vorsaison war er bei der U16 nur die Nummer zwei oder drei und machte nur ein Spiel. Beharrlichkeit und der stete Weg nach oben liegen anscheinend in der Familie.