João Klauss: Kein Weg zu weit
Bereits im Alter von neun Jahren wusste João Klauss de Mello, dass seine fußballerischen Fähigkeiten im Vergleich zu seinen gleichaltrigen Kumpel herausragen. Bei einem Testspiel seines Heimatklubs Esporte Clube Juventude wurde er vom gegnerischen Trainer entdeckt – und erhielt ein ungewöhnliches Angebot des rund drei Autostunden entfernt beheimateten SC Internacional Porto Alegre: „Trainier' am Freitag, spiel' am Wochenende – und fahr' wieder nach Hause.“
Klauss, wie er von seinen Freunden meist genannt wird, nahm das Angebot an. Fortan fuhren ihn seine Eltern freitags von Caixas do Sul vorbei an Nuevo Hamburgo nach Porto Alegre. Eine im Südosten Brasiliens gelegene Stadt, die durch deutsche und italienische Migranten geprägt wurde und übersetzt den Namen „freundlicher Hafen" trägt. Doch das Projekt „Langes Wochenende in Porto Alegre“ wurde bald modifiziert. Zum einen, da die Fahrtstrecke doch recht kraft- und zeitaufwendig wurde, besonders für die Eltern, zum anderen, weil seine Sonderrolle trotz vieler Tore nur schwer vermittelbar war.
De Mello schmunzelt, als er sich an die Zeit erinnert: „Sie haben mir nach einem Jahr gesagt, dass es nicht gehe, dass ich nur einmal mit der Mannschaft trainiere und trotzdem spiele. Das sei unfair den anderen gegenüber – auch wenn ich in meiner Heimat natürlich auch täglich gekickt habe. Aber es war verständlich, so zog ich bereits als Zehnjähriger ins Internat.“ Dort blieb er vier Jahre, bis ihn das nächste Angebot erreichte, das er nicht abschlagen konnte: Der große Stadtrivale Gremio klopfte 2011 bei Klauss an – und dann wagte er den Schritt zum traditionsreichen Weltpokalsieger von 1983 (2:1 im Finale gegen den Hamburger SV). „Es ist ein berühmter Klub in Brasilien, für den schon viele Legenden gespielt haben. Es war eine besondere Ehre, ein Angebot zu erhalten.“
Ratschlag von Carlos Eduardo
Einer der Helden Gremios ist Carlos Eduardo – einst Aufstiegsgarant der TSG und Mitglied des legendären TSG-Teams, das im ersten Bundesligajahr gleich die Hinrunde auf Rang eins beendete. So hatte Hoffenheim einen großen Trumpf in der Hinterhand, als sich die TSG im Jahr 2016 bei Klauss nach dessen Zukunftsplanung erkundigte. „Ich kannte die TSG aus dem Fernsehen, weil ich in Brasilien sehr viel Bundesliga geschaut habe und der Klub durch Roberto Firmino hier sehr bekannt ist. Als ich das Angebot erhielt, habe ich sofort mit Carlos Eduardo gesprochen, der ein guter Freund von mir ist. Er hat von Hoffenheim geschwärmt. Ich habe keine Sekunde gezögert und wusste gleich, dass es die Chance ist, auf die ich Jahre hingearbeitet hatte.“
So wenig, wie ihn zuvor die langen Autofahrten oder der frühe Auszug aus dem Elternhaus besorgt hatten, so sehr sorgte ihn nun die Kälte und die Sprachbarriere. Im Januar 2017 zog Klauss in den Kraichgau, spielte fortan dank seines italienischen Passes in der Regionalliga für die TSG und akklimatisierte sich auf dem neuen Kontinent: „Ich habe zwar deutsche Vorfahren, konnte die Sprache aber nicht. Es war schwer, am Anfang nicht kommunizieren zu können.“ Was er damals noch nicht ahnte: Das Wetter sollte noch deutlich kühler und die Sprache deutlich schwieriger werden: Nach 14 Monaten und fünf Toren in der vierten deutschen Spielklasse zog er im März 2018 auf Leihbasis weiter zum finnischen Klub HJK Helsinki.
Ein Wechsel, der das Fußballerleben von João Klauss de Mello nachhaltig prägen sollte: Klauss absolvierte sämtliche 33 Ligaspiele und schoss den Hauptstadt-Klub mit 21 Toren zum Titel – eine Leistung, die ihm zudem die Wahl zum Spieler der Saison einbrachte. „Das war eine wichtige Erfahrung. Ich habe gemerkt, dass meine Spielweise auch in Europa funktioniert und habe mich weiterentwickelt. Die Erfolge und Auszeichnungen haben mir gutgetan, ich bin selbstbewusst zurückgekehrt“, sagt der 1,90 Meter große Stürmer.
Die Reise des jungen Brasilianers ging jedoch zunächst weiter. Im Januar 2019 suchte er eine neue Herausforderung – und konnte mittlerweile aus mehreren Offerten wählen. Den Zuschlag erhielt schließlich der Linzer ASK. Eine bedachte Wahl. „Ich wollte auf einem höheren Level den nächsten Schritt machen und dazu mein Deutsch verbessern, weil ich immer im Kopf hatte, dass mein großes Ziel ist, für die TSG in der Bundesliga zu spielen.“ Der Plan geht auf. Auch beim LASK benötigt Klauss kaum Eingewöhnungszeit und macht schnell auf sich aufmerksam. Der Brasilianer trifft unter dem heutigen Wolfsburg-Trainer Oliver Glasner, wie er will: per Fallrückzieher gegen Graz, per Distanzschuss gegen Hartberg, per Dribbling-Schuss-Kombination gegen St. Pölten. Insgesamt 24 Mal netzt er für die Österreicher ein, mit denen er in der Champions-League-Qualifikation und der Europa League antritt. „Das war eine super Zeit. Ich habe gegen Top-Gegner auf dem Platz gestanden, dazu international gespielt. Es war eine wichtige Station in meiner Entwicklung.“
Joelinton als Vorbild
In Österreich sieht er, wie ein anderer Brasilianer in Hoffenheim groß auftrumpft – der ebenfalls zuvor im Nachbarland aktiv war: Joelinton. Dessen Erfolge bei der TSG beflügeln auch Klauss: „Joelintons Weg war sehr inspirierend für mich. Er hat gezeigt, wie sich Leihspieler entwickeln und welche Bedeutung sie nach ihrer Rückkehr bei der TSG einnehmen können. Man hat gesehen: Dieser Weg funktioniert. Er hat die Türen für andere Leihspieler geöffnet.“ Die warmen Worte für den mittlerweile in Newcastle spielenden Landsmann ehren Klauss, seine Rückkehr verdiente er sich aber allein. Kraftvoll, willens- und extrem kopfballstark lehrte er den Verteidigern in Österreich das Fürchten. „Am gefährlichsten bin ich in der Box. Ich suche immer den Abschluss, ob per Fuß oder Kopf. Zentral in Tornähe bin ich für den Gegner durch meine Statur am gefährlichsten.“
Aufgrund der wenig typisch brasilianischen Spielweise und seines Aussehens scherzte sein früherer Teamkollege (und heutige Wolfsburger) Joao Victor über ihn: „Mit seinen blonden Haaren sieht er eher aus wie ein Deutscher. Und ein außergewöhnlicher Tänzer ist er auch nicht.“ Kraftpaket Klauss störte das wenig, Woche für Woche sammelte er in Linz Argumente für die lang ersehnte Chance: das TSG-Trikot in der Bundesliga zu tragen. „Finnland und Österreich waren nur Etappen, um michin Hoffenheim durchzusetzen. Die große Konkurrenz motiviert mich zusätzlich und ist für alle wichtig. Ich freue mich, mit so prominenten Spielern wie Munas Dabbur oder Andrej Kramarić zusammenzuspielen. Ich bin bereit, um meinen Platz zu kämpfen und mich in der Bundesliga zu beweisen.“
Das ist der nächste Schritt in der Karriereplanung des 23-Jährigen – aber gewiss nicht der letzte, wie er mit leuchtenden Augen verrät: „Hoffenheim war für Carlos Eduardo, Luiz Gustavo und Roberto Firmino das perfekte Sprungbrett. Sie wurden Nationalspieler. Auch Joelinton wurde zu seiner Hoffenheimer Zeit
in der Selecao gehandelt. Diesen Weg will ich auch gehen.“ Und dass er außergewöhnliche Wege gehen kann, hat João Klauss de Mello in seiner jungen Karriere bereits mehrfach bewiesen.