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AKADEMIE
21.06.2018

40 Jahre Córdoba – aus Sicht der TSG-Ösis

Als kürzlich die DFB-Elf in einem Testspiel in Klagenfurt Österreich mit 1:2 unterlag, hatte das in TSG-Kreisen einige Frotzeleien zur Folge, schließlich spielen sechs Österreicher bei den Profis bzw. in der A-Jugend, zudem sind ein Co-Trainer (U23) und ein Physiotherapeut (U19) aus dem Nachbarstaat in Hoffenheim angestellt. Bei der Mutter aller Niederlagen Deutschlands gegen Österreich, heute vor 40 Jahren, waren sie alle nicht geboren. Eine Zeitreise mit Stefan Posch und Andreas Ibertsberger.

Argentinien 1978: Ungeachtet aller Kritik an der Militärdiktatur startet am 1. Juni die elfte Fußball-Weltmeisterschaft, zum letzten Mal mit 16 Mannschaften, die in vier Vierer-Gruppen um den Einzug in die Zwischenrunde kämpfen. Deutschland geht als Titelverteidiger ins Rennen und bekleckert sich in den Spielen gegen Polen (0:0) und Tunesien (0:0) nicht mit Ruhm, kommt aber dank eines 6:0 gegen Mexiko als Gruppenzweiter weiter. Österreich, das sich in der Qualifikation gegen die DDR durchgesetzt hat, ist zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder dabei. Nur fünf von 23 Spielern aus dem Kader von Trainer Helmut Senekowitsch sind Legionäre, alle anderen sind in der Heimat aktiv. Darunter Namen, die heute noch jeden Fußball-Fan jenseits von Garmisch-Partenkirchen mit der Zunge schnalzen lassen: Hans Krankl (Rapid Wien), Walter Schachner (Alpine Donawitz), Herbert Prohaska (Austria Wien) oder Bruno Pezzey (Wacker Innsbruck).

Die „Ösis“ starten furios in das Turnier. Dem 2:1 gegen Spanien folgt vier Tage später ein 1:0 gegen Schweden, und trotz des abschließenden 0:1 gegen Brasilien erreicht die Senekowitsch-Elf die Zwischenrunde als Gruppensieger. Unter den letzten Acht geht es in zwei Vierer-Runden weiter, Deutschland und Österreich kommen – mit Italien und den Niederlanden – in dieselbe Gruppe, treffen aber erst am letzten Spieltag aufeinander, als bereits feststeht: Österreich ist schon ausgeschieden, Deutschland benötigt einen Sieg mit vier Toren Differenz und muss auf ein Unentschieden im Parallelspiel hoffen.

Erster Sieg seit 47 Jahren

Für die einen geht es also um alles, für die anderen um nichts. Von wegen! Es ist das erste direkte WM-Duell der beiden Nationen, die 1938 noch eine gemeinsame Mannschaft gestellt hatten, seit 1954, als Deutschland Österreich mit 6:1 bezwang und Weltmeister wurde. Hier die „arroganten Deutschen“, dort die seit 47 Jahren gegen ihre Nachbarn sieglosen Österreicher, die überhaupt nicht bereit sind, abzuschenken. Stattdessen schicken sie ihre beste Elf aufs Feld, um den Deutschen in die Suppe zu spucken.

Auf der Pressetribüne im Stadion von Córdoba sitzt an diesem 21. Juni 1978, einem Mittwoch, auch Eduard „Edi“ Finger. Der österreichische Radio-Reporter wird diesem Spiel durch seinen frenetischen Kommentar Legendenstatus verleihen.

TSG-Profi Florian Grillitsch (Jahrgang 1995), der beim 2:1-Sieg gegen Deutschland vor drei Wochen in der Startelf stand, ist zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht geboren. Dasselbe gilt für seine Teamkollegen Robert Žulj (1992) und Stefan Posch (1997) – und erst recht für die A-Junioren Christoph Baumgartner (1999), Benjamin Wallquist und Tim Linsbichler (beide 2000). Sie kennen das, was sich in den kommenden 90 Minuten abspielt, hauptsächlich aus Erzählungen. Weitere TSG-Österreicher sind U23-Co-Trainer (und Ex-Profi) Andreas Ibertsberger (1982) und Maximilian Plachel (1992), Physiotherapeut im Leistungszentrum der Akademie.

Für Ibertsberger, in Seekirchen am Wallersee vor den Toren Salzburgs aufgewachsen, spielt Córdoba 1978 in der Erinnerung eher eine geringe Rolle. „Das war bei uns kein Thema. Wir haben uns Latten zwischen die Bäume gehängt, gekickt und uns weniger über vergangene WM-Turniere unterhalten.“ Natürlich weiß auch der ehemalige TSG-Bundesligaspieler, dass Hans Krankl zwei Tore geschossen hat, genauso wie ihm noch der eine oder andere Spieler einfällt. Mehr aber auch nicht.

„Da kommt Krankl…“

Nach einer Stunde ist klar, dass es für Deutschland nicht zum nötigen hohen Sieg reicht. Berti Vogts gleicht Karl-Heinz-Rummenigges Führungstreffer aus der 19. Minute mit einem Eigentor aus. Als kurz darauf Hans Krankl zum 2:1 trifft (Bild, der Treffer wurde später in Deutschland zum „Tor des Monats“ gewählt), bahnt sich das Schicksal seinen Weg. Die Österreicher spielen wie entfesselt, Finger schreit sich in Ekstase. Zwar markiert Bernd Hölzenbein praktisch im Gegenzug das 2:2, doch als Krankl drei Minuten vor Schluss die deutsche Defensive narrt und Sepp Maier zum 3:2 überwindet, brechen alle Dämme. Finger schreit sich in die Unsterblichkeit: „Da kommt Krankl […] in den Strafraum – Schuss … Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor, Tooor! I werd’ narrisch! Krankl schießt ein – 3:2 für Österreich! Meine Damen und Herren, wir fallen uns um den Hals; der Kollege Rippel, der Diplom-Ingenieur Posch – wir busseln uns ab. 3:2 für Österreich durch ein großartiges Tor unseres Krankl. Er hat olles überspielt, meine Damen und Herren. Und warten’s noch ein bisserl, warten’s no a bisserl; dann können wir uns vielleicht ein Vierterl genehmigen.“

„Das ist immer wieder schön zu hören“, lacht TSG-Profi Stefan Posch. Mit dem von Finger abgebusselten „Diplom-Ingenieur Posch“, dem für die Übertragung zuständigen Tontechniker, ist der Hoffenheimer nicht verwandt: „Darauf bin ich noch nie angesprochen worden“, schmunzelt der Abwehrspieler. „Ich habe das auch nie so bewusst wahrgenommen.“

Schmach hier, Wunder da

In Deutschland ist dieses Spiel als „Schmach“, in Österreich hingegen als „Wunder von Córdoba“ in die Fußball-Historie eingegangen. Wer nun aber glaubt, Córdoba sei ein gewichtiger Teil des kollektiven Kulturguts, sieht sich im Gespräch mit Posch und Ibertsberger getäuscht. „Das Spiel hat in meiner Kindheit keine Rolle gespielt, ich habe eher zufällig mal davon erfahren“, so Posch. Auf Anhieb fallen ihm mit Krankl, Prohaska und Schachner auch nur drei Spieler ein. Aber klar: Dass Krankl das Siegtor geschossen hat und Finger „narrisch“ wurde, das weiß auch der 21-Jährige. „Natürlich ist zwischen Deutschen und Österreichern eine Konkurrenz da, aber so groß ist sie nun auch wieder nicht“, versichert Posch, schiebt allerdings mit Blick auf das 2:1 von Klagenfurt nach: „Da werde ich in der Kabine schon noch den einen oder anderen Spaß machen.“

„Die deutsche Grenze ist nur eine Viertelstunde von meinem Elternhaus entfernt, klar hat man da als Heranwachsender eine gewisse Rivalität gespürt“, gibt Ibertsberger zu. „Das ist aber schon lange nicht mehr der Fall. Sicherlich haben wir Österreicher auch etwas auf die Deutschen heraufgeschaut, weil sie in fußballerischer Hinsicht unerreichbar waren.“ Dass sich die große Lücke in der jüngsten Zeit wieder etwas geschlossen hat, freue ihn durchaus: „Als ich 2005 nach Deutschland gekommen bin, hat sich die Zahl der österreichischen Talente, die hier Fuß fassen, in Grenzen gehalten. Heute sieht das zum Glück anders aus, und das ist gut für die Nationalmannschaft!“

„Ihr werdet es immer wieder hören!“

Nach dem 3:2 zittert sich Finger, dessen Stimme sich mehrfach überschlägt, dem Schlusspfiff entgegen: „Jetzt hammas g‘schlagn! […] Noch einmal Deutschland am Ball. Eine Möglichkeit für Abramczik. Und!? Daneeeeben! Also der Abraaaamczik – obbusseln möcht’ i den Abramczik dafür. Jetzt hat er uns g‘hooolfn. Allein vor dem Tor stehend. Der braaave Abramczik hot daneben g‘schossn. Der Orme wird si’ ärgern.“ Dann ist es vorbei. „Und jetzt ist auuus! Ende! Schluss! Vorbei! Aus! Deutschland geschlagen!“ Wenige Meter weiter ist Fingers deutscher Kollege Armin Hauffe weniger euphorisch: „Deutschland unterliegt Österreich mit zwei zu drei. Es war ein schwaches Länderspiel hier aus Córdoba. Tja.“

Tja. Im Nachhinein betrachtet war der Spielausgang völlig bedeutungslos. Österreich blieb Gruppenvierter, Deutschland wäre selbst bei einem hohen Sieg hinter den punktbesseren Niederländern nur Zweiter geworden und hätte sich mit dem Spiel um Platz drei gegen Brasilien begnügen müssen. So reicht es nun nicht mal dafür. Für Bundestrainer Helmut Schön, dem Weltmeister von 1974, ist es das letzte Länderspiel. Die Österreicher hatten ihren Rückflug nach Europa bereits vor dem Spiel gebucht. Wenige Stunden später sitzen die Deutschen kurzentschlossen im selben Flieger.

„Gänsehaut ist vielleicht übertrieben, aber es macht schon Spaß, Fingers Jubelschreie in regelmäßigen Abständen zu hören“, sagt Ibertsberger. „Er hat die Emotionen dieses Spiels sehr gut rübergebracht.“ Überdrüssig ist er der Tonbandaufnahmen von vor 40 Jahren auf keinen Fall. Und auch Hans Krankl sagt in einer TV-Doku: „Es gibt vor allem in Deutschland Menschen, die sagen: Ich kann das nicht mehr hören! Also bitte: Ihr werdet’s immer wieder hör’n, weil‘s einfach so schön war!“ Vier Jahre nach Córdoba treffen beide Teams erneut bei einer WM aufeinander. Das 1:0 der Deutschen in Spanien geht ebenfalls in die Annalen ein, allerdings nur als „Schande“ und nicht als „Wunder von Gijón“, aber das ist eine andere Geschichte.

Wenige Monate nach dem Córdoba-Spiel erlitt Finger mit Mitte 50 seinen ersten von drei Herzinfarkten. Den dritten im April 1989 überlebte er nicht. Im 21. Wiener Bezirk Floridsdorf gibt es eine Edi-Finger-Straße. Der Platz, in den sie mündet, heißt seit 2009 „Cordobaplatz“. Ein bisschen gehört dieses Spiel also scheinbar doch zum österreichischen Kulturgut.

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